Opernglas 1/2008
Th. Baltensweiler
Vokale Italien-Sehnsucht
Die Karriere von Jonas Kaufmann hat seit der Titelstory in „Das Opernglas“ 5/06 richtig Fahrt aufgenommen. 2008 nun könnte ein entscheidendes Jahr für ihn werden. Unser Mitarbeiter Dr. Thomas Baltensweiler fragte aus aktuellem Anlass nach.

Eine ganze Reihe jüngerer deutscher Sänger ist international derzeit gut im Geschäft: Diana Damrau, Annette Dasch, Anja Harteros, Christoph Strehl, René Pape und Jonas Kaufmann. Bei der britischen Decca erscheint Anfang 2008 eine Solo-CD mit Opernarien. Zwar handelt es sich dabei nicht um Kaufmanns erste Platte: Harmonia Mundi hatte 2006 bereits eine Aufnahme mit Strauss-Liedern veröffentlicht, doch die Strauss-CD war nicht von einem breit angelegten Marketing begleitet worden - sie war einfach eine Neuerscheinung neben anderen. Das neue Recital dagegen könnte zum Eintrittsbillett in die Prominenten-Liga des Opernbusiness werden. Ende Februar tritt Kaufmann in Hamburg und München in Solo-Konzerten auf, deren Programm Übereinstimmungen mit dem der CD aufweisen wird.

„Ich musste feststellen, dass es trotz meiner relativ guten Live-Erfolge schwierig ist, quasi als Außenseiter ins Plattengeschäft zu kommen. Die Firmen verfolgen bestimmte Marketing-Strategien und geben bei Gesamtaufnahmen Exklusivkünstlern den Vorzug“ berichtet Jonas Kaufmann im Gespräch. Das Programm der „Romantic Arias“ betitelten CD ist als eine Art Visitenkarte gedacht. „Mein Ziel ist es, zu zeigen, was ich in den letzten Jahren auf der Bühne alles getrieben habe und gegenwärtig treibe.“ Wer die Trackliste der CD durchgeht, wird freilich feststellen, dass die Auswahl in dieser Hinsicht doch nicht so umfassend ist. Mozart fehlt vollständig, insgesamt ist das deutsche Fach nur mit drei Stücken vertreten. Das liegt daran, dass das zweite Recital bei Decca Kaufmann ausschließlich in deutschen Partien präsentieren wird. 

Hatte Kaufmann sich im gar nicht lange zurückliegenden Interview im „Opernglas“ noch darüber beklagt, dass es für einen deutschen Sänger in Deutschland nicht leicht sei, italienische Partien zu bekommen, so änderte sich diese Situation zumindest für ihn. Es trug Früchte, dass ihm an der Mailänder Scala, der NewYorker Met und am Londoner Royal Opera House große Verdi- und Puccini-Partien angeboten wurden. „Wenn man in Italien und Frankreich in italienischen beziehungsweise französischen Rollen akzeptiert wird, dann geht‘s auch in Deutschland.“ Alfredo, Rodolfo, Cavaradossi, Don Carlo, Don José, Des Grieux (»Manon«) zählen zu den Partien, in denen Kaufmann mittlerweile gefragt ist. Bei EMI ist eine Gesamtaufnahme von »Madama Butterfly« mit Angela Gheorghiu unter Antonio Pappano geplant. 

Er bezeichnet sich als Romantiker und Gefühle haben für ihn einen wichtigen Anteil an seinen Interpretationen. Wer Kaufmann auf der Bühne erlebt, sei es als Alfredo, als Tamino oder, wie unlängst, als Königssohn in Humperdincks »Königskindern«, kann das bestätigen. Zwischen deutschen und italienischen Fach partien hin und her zu wechseln, auch schon mal innerhalb eines kurzen Zeitraumes, sieht Kaufmann nicht als Problem an. Doch die Umstellung vom einen zum anderen Fach bleibt hörbar. 

Beim Anhören seiner CD kann man bemerken, dass der »Freischütz«Max sich, was den Klang der Stimme betrifft, von den italienischen Ausschnitten markant unterscheidet. „Ja, das ist mir auch aufgefallen.»Freischütz« wirkt offener, heller. Wahrscheinlich wird das aber nur in diesem direkten Vergleich so deutlich. Ich werde sonst dafür gelobt, dass das Deutsche bei mir so weich, so fließend und rund klinge. Oft wird der Eindruck vermittelt, Deutsch müsse hart und abgehackt sein, die Konsonanten müssten gespuckt werden. Das Geheimnis liegt in der Vokalfärbung. Wenn die stimmt, dann kann man sich die Konsonanten getrost schenken, der Rest wird vom Ohr ergänzt. Man erzielt häufig eine schlechtere Textverständlichkeit mit überdeutlicher Sprachbehandlung. Grundsätzlich versuche ich, alles mit derselben Stimme zu singen. Der Unterschied zwischen italienischem und deutschem Fach ist ein stilistischer: wie ich von einem Ton zum nächsten gehe, wie ich ein Crescendo ansetze.“  

Und damit ist er beim Reiz angelangt, den die italienische Oper auf ihn ausübt. Sie bedeutet ihm eine andere Art der Gefühlsbehandlung, eine andere Art der Romantik - lachend verrät er, dass es ihn nicht sonderlich kümmert, ob die auf seinem Recital vertretenen Arien auch in musikgeschichtlichem Sinne romantisch sind. Die italienische Romantik ist in seinen Augen heißblütiger, manchmal aber weniger tiefgründig als die deutsche. Ins Vokale gewendet, heißt das, Spitzentöne auf dem Tablett zu servieren. Bei Wagner dagegen haben die hohen Töne eine geringere Bedeutung, da kommt es ihm eher auf das große Ganze an als auf Stimmakrobatik. Also kann er in der italienischen Oper ganz „Tenor“ sein? Kaufmann lacht und sagt: „Man kann im Klang und in den Tönen baden, ohne dass es einem übel genommen wird!“ Ihm macht das Spaß. „Kitschig zu sein“, soll vermieden werden; wenn das Publikum gemerkt hat, dass ein hoher Ton zur Verfügung steht, dann braucht man ihn nicht weiter zu halten, denn die Aussage wird dadurch nicht verstärkt - so fasst er das seines Erachtens typisch deutsche Gesangsverständnis zusammen. 

Jonas Kaufmann ist nicht der einzige deutsche Sänger, der eine vokale Italien-Sehnsucht kennt; er steht in einer langen Tradition, die mit Namen wie Rudolf Schock oder Fritz Wunderlich abgesteckt werden kann. Diese Sehnsucht führt Kaufmann darauf zurück, dass das italienische Fach stimmlich „eine gute Medizin“ sei. Es erfordert Legato und eine weiche Stimmbehandlung. Kaufmanns Parsifal etwa, den er erstmals 2006 im Zürcher Opernhaus gab, kam beinahe lyrisch daher, mit einer völlig unforcierten Tongebung und geschmeidiger Zeichnung der vokalen Verläufe. Das erinnerte in mancher Hinsicht an frühere Zeiten:

an einen kantablen Wagner-Stil, wie er in Aufnahmen der Zwanziger-und Dreißigerjahre festgehalten ist, an eine Zeit, in der das Nebeneinander von Belcanto und Wagner beim Publikum noch nicht Anlass zu Erstaunen gab und bei der Presse nicht zwingend Fragen hervorrief. „Die Italiener tun sich leichter mit dem Stimmsitz, weil bei ihnen Singen und Sprechen näher beieinander liegen.“ Gagenvorteile resultieren laut Kaufmann jedoch nicht aus den italienischen Partien:
„Das schwere deutsche Fach wird besser bezahlt.“

„Ich rechne mir nicht aus, dass die Leute meine Türen einrennen, sondern wäre sehr froh, wenn es genug gibt, die mich kennen, um die Konzerte zu füllen. Bei mir ist es nicht so, wie wenn Anna Netrebko auf der Waldbühne auftritt. Das ist eine andere Dimension.“ Doch die Werbetrommel für seine Soloauftritte in Hamburg und München wurde frühzeitig gerührt. Schon im Herbst blickte Kaufmann von den Plakatwänden, glänzte sein Konterfei aus Inseraten, wobei mit dem guten Aussehen des Sängers offenkundig gespielt wird. Dabei hatte er sich im letzten „Opernglas“-Interview kritisch über den Hype mit Superstars geäußert. Um klare Worte zum Thema „Kunst und Kommerz“ ist er nicht verlegen. Er stört sich vor allem daran, dass Leute über Nacht zum Superstar werden, die auf der Bühne nicht etabliert sind. „Dieses Rock-Star-Image, das da jetzt bei mir gepflegt wird! In eine Rolle zu schlüpfen, setzt ein gewisses Aussehen voraus, eine körperliche Beweglichkeit - das ist heute so, das gilt nicht nur für mich. Deshalb wundert es mich schon, wenn es heißt: „Der kann sich gut bewegen, sieht gut aus. “ Ja, sehr schön, freut mich - aber kann der schön singen? Dieses Package, wie man das neudeutsch nennt, mag den Marketing-Strategen entgegenkommen, aber ich habe dafür nichts getan.“

Soll man ihm diese Zurückhaltung glauben? In der Kantine des Zürcher Opernhauses wirkt er wie ein unauffälliger junger Mann, in Pullover und Jeans, mit einem Kartonbecher vor sich. Nach dem Gespräch erhebt er sich, begibt sich an einen anderen Tisch, um ein paar Worte zu wechseln - ein Ensemblemitglied, auch wenn er vielleicht bald wieder im Flieger sitzen wird.
Th. Baltensweiler






 
 
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