Eine ganze Reihe jüngerer deutscher Sänger ist
international derzeit gut im Geschäft: Diana Damrau, Annette Dasch, Anja
Harteros, Christoph Strehl, René Pape und Jonas Kaufmann. Bei der
britischen Decca erscheint Anfang 2008 eine Solo-CD mit Opernarien. Zwar
handelt es sich dabei nicht um Kaufmanns erste Platte: Harmonia Mundi
hatte 2006 bereits eine Aufnahme mit Strauss-Liedern veröffentlicht, doch
die Strauss-CD war nicht von einem breit angelegten Marketing begleitet
worden - sie war einfach eine Neuerscheinung neben anderen. Das neue
Recital dagegen könnte zum Eintrittsbillett in die Prominenten-Liga des
Opernbusiness werden. Ende Februar tritt Kaufmann in Hamburg und München
in Solo-Konzerten auf, deren Programm Übereinstimmungen mit dem der CD
aufweisen wird.
„Ich musste feststellen, dass es trotz meiner relativ
guten Live-Erfolge schwierig ist, quasi als Außenseiter ins
Plattengeschäft zu kommen. Die Firmen verfolgen bestimmte
Marketing-Strategien und geben bei Gesamtaufnahmen Exklusivkünstlern den
Vorzug“ berichtet Jonas Kaufmann im Gespräch. Das Programm der „Romantic
Arias“ betitelten CD ist als eine Art Visitenkarte gedacht. „Mein Ziel ist
es, zu zeigen, was ich in den letzten Jahren auf der Bühne alles getrieben
habe und gegenwärtig treibe.“ Wer die Trackliste der CD durchgeht, wird
freilich feststellen, dass die Auswahl in dieser Hinsicht doch nicht so
umfassend ist. Mozart fehlt vollständig, insgesamt ist das deutsche Fach
nur mit drei Stücken vertreten. Das liegt daran, dass das zweite Recital
bei Decca Kaufmann ausschließlich in deutschen Partien präsentieren wird.
Hatte Kaufmann sich im gar nicht lange
zurückliegenden Interview im „Opernglas“ noch darüber beklagt, dass es für
einen deutschen Sänger in Deutschland nicht leicht sei, italienische
Partien zu bekommen, so änderte sich diese Situation zumindest für ihn. Es
trug Früchte, dass ihm an der Mailänder Scala, der NewYorker Met und am
Londoner Royal Opera House große Verdi- und Puccini-Partien angeboten
wurden. „Wenn man in Italien und Frankreich in italienischen
beziehungsweise französischen Rollen akzeptiert wird, dann geht‘s auch in
Deutschland.“ Alfredo, Rodolfo, Cavaradossi, Don Carlo, Don José, Des
Grieux (»Manon«) zählen zu den Partien, in denen Kaufmann mittlerweile
gefragt ist. Bei EMI ist eine Gesamtaufnahme von »Madama Butterfly« mit
Angela Gheorghiu unter Antonio Pappano geplant.
Er bezeichnet sich als Romantiker und Gefühle haben
für ihn einen wichtigen Anteil an seinen Interpretationen. Wer Kaufmann
auf der Bühne erlebt, sei es als Alfredo, als Tamino oder, wie unlängst,
als Königssohn in Humperdincks »Königskindern«, kann das bestätigen.
Zwischen deutschen und italienischen Fach partien hin und her zu wechseln,
auch schon mal innerhalb eines kurzen Zeitraumes, sieht Kaufmann nicht als
Problem an. Doch die Umstellung vom einen zum anderen Fach bleibt hörbar.
Beim Anhören seiner CD kann man bemerken, dass der
»Freischütz«Max sich, was den Klang der Stimme betrifft, von den
italienischen Ausschnitten markant unterscheidet. „Ja, das ist mir auch
aufgefallen.»Freischütz« wirkt offener, heller. Wahrscheinlich wird das
aber nur in diesem direkten Vergleich so deutlich. Ich werde sonst dafür
gelobt, dass das Deutsche bei mir so weich, so fließend und rund klinge.
Oft wird der Eindruck vermittelt, Deutsch müsse hart und abgehackt sein,
die Konsonanten müssten gespuckt werden. Das Geheimnis liegt in der
Vokalfärbung. Wenn die stimmt, dann kann man sich die Konsonanten getrost
schenken, der Rest wird vom Ohr ergänzt. Man erzielt häufig eine
schlechtere Textverständlichkeit mit überdeutlicher Sprachbehandlung.
Grundsätzlich versuche ich, alles mit derselben Stimme zu singen. Der
Unterschied zwischen italienischem und deutschem Fach ist ein
stilistischer: wie ich von einem Ton zum nächsten gehe, wie ich ein
Crescendo ansetze.“
Und damit ist er beim Reiz angelangt, den die
italienische Oper auf ihn ausübt. Sie bedeutet ihm eine andere Art der
Gefühlsbehandlung, eine andere Art der Romantik - lachend verrät er, dass
es ihn nicht sonderlich kümmert, ob die auf seinem Recital vertretenen
Arien auch in musikgeschichtlichem Sinne romantisch sind. Die italienische
Romantik ist in seinen Augen heißblütiger, manchmal aber weniger
tiefgründig als die deutsche. Ins Vokale gewendet, heißt das, Spitzentöne
auf dem Tablett zu servieren. Bei Wagner dagegen haben die hohen Töne eine
geringere Bedeutung, da kommt es ihm eher auf das große Ganze an als auf
Stimmakrobatik. Also kann er in der italienischen Oper ganz „Tenor“ sein?
Kaufmann lacht und sagt: „Man kann im Klang und in den Tönen baden, ohne
dass es einem übel genommen wird!“ Ihm macht das Spaß. „Kitschig zu sein“,
soll vermieden werden; wenn das Publikum gemerkt hat, dass ein hoher Ton
zur Verfügung steht, dann braucht man ihn nicht weiter zu halten, denn die
Aussage wird dadurch nicht verstärkt - so fasst er das seines Erachtens
typisch deutsche Gesangsverständnis zusammen.
Jonas Kaufmann ist nicht der einzige deutsche Sänger,
der eine vokale Italien-Sehnsucht kennt; er steht in einer langen
Tradition, die mit Namen wie Rudolf Schock oder Fritz Wunderlich
abgesteckt werden kann. Diese Sehnsucht führt Kaufmann darauf zurück, dass
das italienische Fach stimmlich „eine gute Medizin“ sei. Es erfordert
Legato und eine weiche Stimmbehandlung. Kaufmanns Parsifal etwa, den er
erstmals 2006 im Zürcher Opernhaus gab, kam beinahe lyrisch daher, mit
einer völlig unforcierten Tongebung und geschmeidiger Zeichnung der
vokalen Verläufe. Das erinnerte in mancher Hinsicht an frühere Zeiten:
an einen kantablen Wagner-Stil, wie er in Aufnahmen
der Zwanziger-und Dreißigerjahre festgehalten ist, an eine Zeit, in der
das Nebeneinander von Belcanto und Wagner beim Publikum noch nicht Anlass
zu Erstaunen gab und bei der Presse nicht zwingend Fragen hervorrief. „Die
Italiener tun sich leichter mit dem Stimmsitz, weil bei ihnen Singen und
Sprechen näher beieinander liegen.“ Gagenvorteile resultieren laut
Kaufmann jedoch nicht aus den italienischen Partien:
„Das schwere deutsche Fach wird besser bezahlt.“
„Ich rechne mir nicht aus, dass die Leute meine Türen
einrennen, sondern wäre sehr froh, wenn es genug gibt, die mich kennen, um
die Konzerte zu füllen. Bei mir ist es nicht so, wie wenn Anna Netrebko
auf der Waldbühne auftritt. Das ist eine andere Dimension.“ Doch die
Werbetrommel für seine Soloauftritte in Hamburg und München wurde
frühzeitig gerührt. Schon im Herbst blickte Kaufmann von den Plakatwänden,
glänzte sein Konterfei aus Inseraten, wobei mit dem guten Aussehen des
Sängers offenkundig gespielt wird. Dabei hatte er sich im letzten
„Opernglas“-Interview kritisch über den Hype mit Superstars geäußert. Um
klare Worte zum Thema „Kunst und Kommerz“ ist er nicht verlegen. Er stört
sich vor allem daran, dass Leute über Nacht zum Superstar werden, die auf
der Bühne nicht etabliert sind. „Dieses Rock-Star-Image, das da jetzt bei
mir gepflegt wird! In eine Rolle zu schlüpfen, setzt ein gewisses Aussehen
voraus, eine körperliche Beweglichkeit - das ist heute so, das gilt nicht
nur für mich. Deshalb wundert es mich schon, wenn es heißt: „Der kann sich
gut bewegen, sieht gut aus. “ Ja, sehr schön, freut mich - aber kann der
schön singen? Dieses Package, wie man das neudeutsch nennt, mag den
Marketing-Strategen entgegenkommen, aber ich habe dafür nichts getan.“
Soll man ihm diese Zurückhaltung glauben? In der
Kantine des Zürcher Opernhauses wirkt er wie ein unauffälliger junger
Mann, in Pullover und Jeans, mit einem Kartonbecher vor sich. Nach dem
Gespräch erhebt er sich, begibt sich an einen anderen Tisch, um ein paar
Worte zu wechseln - ein Ensemblemitglied, auch wenn er vielleicht bald
wieder im Flieger sitzen wird.
Th. Baltensweiler
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