KlassikAkzente 1/2008
Voilà, ein Tenor!
Den jungen Münchener Jonas Kaufmann kann man getrost jetzt schon einen Weltstar nennen, dabei steht er erst ganz am Anfang seiner Karriere - und hat sich viel vorgenommen.

Längst ist der gebürtige Münchener Jonas Kaufmann ein Weltstar mit Engagements an allen bedeutenden internationalen Bühnen. Gleichzeitig ist Kaufmann die größte Hoffnung im Tenorfach, wobei sich „Hoffnung“ auf die Sehnsucht der zahllosen Opernliebhaber in aller Welt bezieht, einmal wieder einen wahrhaft einzigartigen Tenor vom Format eines Domingo oder Pavarotti zu besitzen. Wenn es momentan jemanden gibt, der dazu das Zeug hat, dann ist es, da besteht Konsens in der Opernwelt, der 1969 geborene Jonas Kaufmann. Ein Weltstar ist man in der Opernszene bereits lange vor der möglichen Verwirklichung solcher Ideale, ein Weltstar ist Jonas Kaufmann — wie gesagt — längst, mit triumphalen Hauptrollen in Mailand, London, Paris und New York. 

Nähert man sich der Frage, was den 38-jährigen Deutschen zu etwas ganz Besonderem macht, was ihn aus der momentan wahrlich nicht kleinen Anzahl junger Weltklassetenöre noch hervorhebt, so könnte man eine Menge anführen. Er sieht umwerfend aus: wo er auftritt, liegt das weibliche Publikum seiner glutäugigen und zugleich lässigen Erscheinung zu Füßen und Kaufmanns magnetischer Bühnenpräsenz können sich auch unter den Herren der Schöpfung nur ganz wenige entziehen. Die internationale Kritik lobt von Salzburg bis New York unisono seine darstellerische Intelligenz und die Leidenschaft, mit der er in jeder seiner Bühnenrollen aufgeht. Die Connaisseure der Stimme überschlagen sich und greifen bereits zu den ganz großen Beispielen, wenn es um seine Technik, sein verführerisches Timbre, seine brillante Höhe geht. 

Jedes dieser Kriterien verkleinert den Kreis derer, die alles zu bieten haben, jedes dieser Kriterien hängt entweder vom Glück, vom Talent oder vom Fleiß des Betreffenden ab. Über diese notwendigen Attribute hinaus verfügt Jonas Kaufmann jedoch über Geist, Mut zum Risiko und eine erfrischende Philosophie: Jonas Kaufmann ist ein Romantiker, und er ist ein Universalist. 

Die durch und durch romantische Ausprägung seiner Debüt-CD bei Decca, die sich im Titel wie im Repertoire widerspiegelt, bringt er selbst direkt auf den Punkt: „Ich liebe alle diese romantischen Sachen! Auch wenn es kitschig klingt: Ich bin ein romantischer Mensch. Ich spiele gerne romantische Rollen und ich singe gerne romantische Musik.“ Kitschig? Kitschig klingt das nur für denjenigen, der nicht zwischen tief empfundenen, authentisch großen Gefühlen und aufgesetzter, melodramatischer Kolportage zu unterscheiden vermag. 

Mit voller, warmer Stimme und strahlender Natürlichkeit präsentiert Kaufmann solche großen Gefühle in einer Vielfalt der Rollen, über die man nur staunen kann. Das Repertoire seines Recitals reicht von Verdi und Puccini, über Bizet, Massenet und Gounod bis zu Flotow, Weber und Wagner. Alle ausgewählten Rollen hat er bereits auf der Bühne gesungen, oder er wird es demnächst tun. Und das ist für diesen furchtlosen und stupend begabten Sänger, der nichts so sehr zu scheuen scheint wie Beschränkung, Stillstand und Langeweile, erst der Anfang. In der Oper von heute wird leider zu sehr in Schubladen gedacht, wodurch sich die meisten Sänger auf jeweils nur wenige der großen Tenorpartien beschränken lassen. Doch für Jonas Kaufmann steht nirgendwo geschrieben, dass ein „Helden-Tenor“ keinen Tamino (in Mozarts „Zauberflöte“) singen können soll. Oder dass es die Konzentration auf Rollen wie Rodolfo (La „Bohème“) und Radames („Aida“) schwierig bis unmöglich mache, Beethovens Florestan („Fidelio“) oder Wagners Parsifal und Tristan vollwertig zu gestalten. 

Kaufmann verneint diese einschränkende Denkweise vehement und hat die moderne Auffassung davon, was ein Tenor leisten kann, schon oft eindrucksvoll widerlegt. Allein während der Spielzeit 2006/2007 triumphierte er in Zürich als Herzog von Mantua und als Don Carlos, an der Met als Tamino und als Alfredo (in Verdis „La traviata“), als Berlioz‘ Faust in Rom und als Don José (in Bizets „Carmen“) an Londons Covent Garden. Von umjubelten Liederabenden an der Seite des Pianisten Helmut Deutsch ganz zu schweigen. Seine Programme: Schuberts „Winterreise“ und „Die schöne Müllerin“, Schumanns „Dichterliebe“ und Lieder von Richard Strauss. In London etwa wurde sein Don José ebenso von der Kritik als der beste, den man in Jahren gehört hatte, gefeiert wie seine „Dichterliebe“. Dem Mann muss man anscheinend alles zutrauen! 

Dieser universelle Ansatz, dieser Mut zur Vielfalt, der nicht mit einem „Fach“ zufrieden ist, der sich das Singen in seiner Ganzheit zu eigen machen will, gibt Jonas Kaufmann seine absolute Sonderstellung als Sänger. Derart breit gefächert sind nach dem 2. Weltkrieg nur noch Fritz Wunderlich und Placido Domingo an ihre Karriere als Tenor herangegangen, und vor ihnen einige der legendären Namen aus romantischer Vorkriegszeit. Damals „war es völlig normal, dass jemand an einem Abend Mozart und am nächsten Wagner gesungen hat“, erklärt Kaufmann, „und niemand meinte: ‚Wie kann er das tun?‘ Jetzt ist das bedauerlicherweise äußerst unüblich“. 

Jonas Kaufmann ist in München aufgewachsen und hat dort studiert. Von klein auf hat er in Knabenchören gesungen und die Aufnahmen von Rudolf Schock, Peter Anders und Fritz Wunderlich geliebt. Dennoch sah er die Musik zunächst nicht als Berufung und studierte anfangs Mathematik. Schon als Teenager wurde er mit dem „tenoralen Schubladendenken“ konfrontiert, zunächst ohne sich dessen intellektuell oder technisch erwehren zu können. Seine Stimme besaß damals einen sehr leichten, typisch deutschen Klang. Mein Lehrer erwartete, dass sie so klang“, wie Kaufmann sich erinnert. Der Gesangsunterricht erfüllte ihn mit zunehmendem Unwohlsein. Immer mehr beschlich ihn das Gefühl, dass die Stimme, die er sich antrainierte, nicht seinem natürlichen Stimmklang entsprach. Glücklicherweise bestärkte ihn schließlich ein neuer Lehrer in dieser Auffassung und brachte ihn auf den richtigen Weg. Heute sagt Jonas Kaufmann mit Stolz und mit einem Augenzwinkern: „Die Stimme, die ich nun einsetze, ist die, die ich auch in der Dusche oder im Fahrstuhl gebrauche!“ Mit neugewonnenem stimmlichen Selbstbewusstsein beendete er sein festes Engagement an der Oper Saarbrücken, ohne konkrete Angebote zu haben. Seine neue, seine natürliche Stimme hat ihn geradewegs in die ganze Welt geführt. 

Im Februar gastiert Jonas Kaufmann mit dem Programm seiner Debüt-CD in München und Hamburg. Im selben Monat ist er an der Berliner Staatsoper als Rodolfo in Giacomo Puccinis „La bohème“ zu sehen. Harald Reiter

KlassikLink: www.jonas-kaufmann.net 
Live-Termine:
16./19.02. Berlin, Staatsoper Unter den Linden (La bohème)
24.02. München Herkulessaal
28.02. Hamburg, Laeiszhalle
01.03. Berlin, Staatsoper Unter den Linden (La bohème)






 
 
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