Neue Osnabrücker Zeitung, 12. Februar 2013
Ralf Döring
 
Neue CDs von Klaus Florian Vogt und Jonas Kaufmann – Wer ist der wahre Wagner-Tenor?

Natürlich werfen sich die beiden wichtigsten Wagner-Tenöre unserer Zeit zum Wagner-Jahr in Positur: Jonas Kaufmann und Klaus Florian Vogt haben je eine CD vorgelegt, auf der sie sich durch zentrale Rollen des Bayreuther Musikgottes singen. Wir stellen beide Aufnahmen vor.

Hier der Münchner mit Latin-Lover-Flair, dort der holsteinische Recke, hier der abgründige Tenor mit seinem baritonalen Einschlag, dort die tenorale Lichtgestalt mit der Tendenz zum Counter: Jonas Kaufmann und Klaus Florian Vogt symbolisieren physisch wie stimmlich Extrempositionen des Wagner-Gesangs. Kaum vorstellbar, wie beide ein und dieselbe Rolle verkörpern – so geschehen beim „Lohengrin“ von Altmeister Hans Neuenfels. In diesem Vergleich heimste Vogt einen Erfolg ein, dank seiner klaren Diktion, der sicheren Höhe und der durchsetzungsfähigen Stimme.

Jetzt legen beide eine Wagner-CD vor, nennen sie schlicht „Kaufmann Wagner“ beziehungsweise „Vogt Wagner“. Dabei bewegt sich Vogt von „Rienzi“ bis „Parsifal“ und Kaufmann von den Wesendonck-Liedern bis zu den „Meistersingern“, mit ein paar Überschneidungen für den direkten Vergleich.

Jonathan Nott schubst Vogt gewissermaßen in die „Meistersinger“: Mitten hinein in ein frühlingshaftes Flirren und Jubeln, als wär’s ein Stück von Mendelssohn. Dahinein platziert Vogt seine Stimme: Da klingt Wagners Musik himmelhoch jauchzend wie ein Sonntagsausflug mit der neuen Freundin.

Kaufmann geht anders zur Sache: Er zieht den Hörer ins Herz des Wagner’schen Schaffens, zu Siegmunds „Schwertmonolog“ aus der „Walküre“. Unter Donald Runnicles raunt hier das Orchester der Deutschen Oper Berlin, gleichzeitig entsteht ein feingliedriger musikalischer Raum von der Plastizität einer Theaterbühne. Da hinein platzt Kaufmann: „Ein Schwert verhieß mir der Vater“, singt er mit einer Wucht, aus der nicht nur die ganze Not von Siegmunds Existenz herausklingt, sondern auch eine umwerfende Stimme.

Über ein profundes Fundament verfügte Kaufmanns Tenor ja schon immer; jetzt klingt er noch fokussierter, die klangliche Basis noch fester im Bariton-Register verankert. Das verleiht der Stimme einen Ausdruck von Lebenserfahrung, macht Siegmund geradezu zum Stellvertreter seines Vaters Wotan auf Erden. Das unterstreichen die beiden „Wälse!“-Rufe: Eine Anrufung in höchster Not ist das bei Kaufmann, als schmore Siegmund bereits im Höllenfeuer.

Ganz anders klingt das bei Vogt – auch er hat den Schwertmonolog ins CD-Programm genommen, auch er sucht nach der Heil bringenden Waffe, auch er ruft seinen Vater „Wälse“ an. Doch dieser Siegmund klingt ungleich jugendlicher, forscher, weniger existenziell –naiver? Während er bei Kaufmann zumindest ahnt, auf dem Altar göttlicher Machtkämpfe geopfert zu werden, scheint Vogts Siegmund dieses visionäre Wissen abzugehen.

Darin liegt denn auch der grundsätzliche Unterschied der beiden Tenöre: Vogt erhält den Rollen ihre Jugendlichkeit oder gibt sie ihnen zurück. In der dunklen, mächtigen Stimme Kaufmanns grollt hingegen apokalyptischer Donner. Und selbst wenn er als Stolzing vom „stillen Herd in Winterszeit“ singt, klingt das, als erzählte ein reifer Mann von seiner Jugend – während bei dieser Jugendlichkeit im Hier und Jetzt gelebt wird.

Damit nimmt Vogt der Musik Wagners die Anmutung des Erdschweren, tief Dräuenden. Nein, hier zeigt Wagner seine leichten Seiten, und das mag durchaus im Sinne des Komponisten sein: Dem ging Textverständlichkeit und klare Linienführung über alles – und all das finden wir heute bei Klaus Florian Vogt. Sein „Lohengrin“ ist auch auf dieser CD eine Lichtgestalt, während sich bei Kaufmanns „Grals-Erzählung“ leichter Nebel um die leisen Töne legt. Und wenn Vogt das Gebet des Rienzi „Allmächt’ger Vater, blick herab“ singt, schwingt darin ein naiver Glaube mit, den der Rienzi Kaufmanns längst verloren hat.

Dabei kommen Nott und die Bamberger Symphoniker mit Vogt ungleich schneller zum Punkt, verfolgen eher das Ideal eines klanglichen Realismus als einer romantisierenden Mythologisierung. Runnicles und das Orchester der Deutschen Oper hingegen kleiden die Gesangspassagen grundsätzlich großzügiger ein, lassen mehr Opulenz zu und strukturieren gleichzeitig die Musik mit strenger Präzision. Doch daraus lässt sich genauso wenig ein Entweder-oder ableiten, wie aus den diametral entgegengesetzten Stimmen. Beide sind sie ganz bei sich, beide markieren sie extreme Positionen des Wagnergesangs – und beide lohnen die intensive Beschäftigung.






 
 
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