Der Westen, 19. November 2010
Lars von der Gönna
 
Das Auge hört mit
 

Wie sich die Bilder gleichen: Drei-Tage-Bart, romantische Verwegenheit, dazu dunkle Locken. Es treten diesen Tenor-Herbst vielleicht nicht gegeneinander, aber doch als Stars ihres Fachs an: Jonas Kaufmann und Vittorio Grigolo.

München gegen Rom. Der eine ein Spätzünder, der erst Mathematik studierte, der andere, der früh den Segen der Sixtinischen Kapelle genoss. Dort war er Chorknabe.

Die beiden unbestritten smarten Erscheinungen eines Opernbetriebs, der Laufstegtauglichkeit mitunter Notentreue gleichzusetzen scheint, zu vergleichen, ist ansonsten kaum hilfreich. Wenn beide oben bleiben, werden sie ihrer Stimme zuliebe unterschiedliche Wege gehen. Kaufmanns Tenor hört man schon jetzt an, dass das Leichte (Tamino in der Zauberflöte etwa) ihm schwerfällt, während man den schönen Bariton-Farben seiner begnadeten Stimme ohne Sorge eine stattliche Otello-Zukunft voraussagen möchte.

Beachtliche Beweglichkeit

Grigolos Talent dagegen siedelt man wohl am besten zwischen „leggiero“ und „spinto“ an, beides Tenor-Fächer, die für spezielle Anlagen und damit auch Rollen stehen. Die beachtliche Beweglichkeit, der helle, nicht schrille Glanz lässt bei Grigolo an den Almaviva aus Rossinis Barbier denken, aber auch an Verdi-Partien wie den „Duca“ aus „Rigoletto.“ Zugleich besitzt der 33-Jährige noch genug Wucht und strahlende Spitze, um in aller opernhaften Männlichkeit als Cavaradossi eine Tosca anzuschmachten oder sich als Troubadour in Verdis bekanntlich nicht sehr lustiges Zigeunerleben zu stürzen.

„The Italian Tenor“ (Sony) heißt denn auch die Bekenntnismusik, die Grigolo eingespielt hat. Zunächst: Jeder, der einen solchen Sänger live in einem Opernhaus hören darf, sollte dankbar sein. Obschon keine Riesenstimme und gewiss nie ein Held Richtung Otello oder gar Siegmund (wie jüngst Jonas Kaufmann), besitzt der Sänger stattliche Reserven. Dazu zeigt er – etwa in Arien aus „Maskenball“ – beachtlichen Schmelz und ein feines Piano. Kein Wunder, dass ihm von Covent Garden bis zur Scala die Herzen zufliegen.

Was die Substanz der Stimme angeht, geht Grigolo zwar geradezu verschwenderisch mit seinen Mitteln um (am Schluss des Gassenhauers „Si de’ Corsari“ aus Verdis frühem Piratenschinken legt er freiwillig noch eine Spitze drauf). Aber irgendetwas am Gesamtbild stimmt (noch) nicht. Der Tenor wirkt selten ungefährdet. Man darf gespannt sein, was seine Haltbarkeit angeht.

Emotionale Dramen

Jonas Kaufmanns Album „Verismo“ (bei Decca) dagegen ist vielleicht die gelungenste seiner CDs. Auch sie hat Bekenntnischarakter: Die Partien aus Mascagnis „Cavalleria“, Giordanos „Andrea Chenier“, Boitos „Mefistofele“ oder dem Bajazzo fordern Ausbrüche, die nur ein meisterhaft gestützter, in seinen Ressourcen nie gefährdeter Heldentenor besitzt. Zugleich muss ihr Interpret anrühren und im Augenblick emotionale Dramen erzählen. Zieht man bekannte Kaufmann-Manierismen wie angedeutete Schluchzer ab und seinen Hang zum Knödeln, fügen sich Größe und Schönheit dieser in Ruhe gereiften Stimme (Kaufmann ist jetzt 41) zu einem Eindruck, wie ihn ein deutscher Tenor lange nicht gemacht hat.

Sich über die Stylisten und PR-Strategen zu ärgern, die beide Sänger auf eine Weise inszenieren, die kaum musikalisch motiviert ist, hat keinen Wert. Das Auge hört längst mit – und geht mit einem schönen Foto zur Kasse.






 
 
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