Münchner Merkur, 21. 9.2010
Markus Thiel
 
Männer am Rande des Nervenzusammenbruchs 
 
Verismo-Arien mit Startenor Jonas Kaufmann

Endlich vorbei, all die Tamino-Jüngelchen oder die Schubert-Lieder-Helden, so hört sich diese CD an. All jene Pflichtübungen, die gezügelte Stimmbänder verlangen und ständig den Nimbus des“Allrounders“ beglaubigen müssen. Wenn Jonas Kaufmann, Deutschlands Opern-Export Nummer eins, nun Verismo-Arien singt, dann scheint er beim musikalischen Heimspiel angekommen. Bei jenen Liebesleid-Machos, die um die vorvergangene Jahrhundertwende geboren wurden und die Expressivität verlangen, nach der Kaufmanns robuste Tenorstimme seit jeher drängt.

Dieses vokale „Alles-muß-raus“, der emotionale Überdruck aus der Werkstatt von Giordano, Leoncavallo, Cilea oder Ponchielli kommt dem gebürtigen Münchner also entgegen – und wird von Dirigent Antonio Pappano mit der vollsaftig aufspielenden Accademia Nazionale di Santa Cecilia noch befördert. Wobei die stete Konfrontation mit Männern am Rande des Todes, zumindest aber des Nervenzusammenbruchs für den Hörer eine Gefahr birgt: die der Ermüdung. Man registriert daher dankbar, wenn Kaufman „Giunto sul passo estremo“ aus Boitos „Mefistofele“ als zartbittere Innenschau gestaltet oder in „La dolcissima effigie“ aus Cileas „Adriana Lecouvreur“ den subtilen Verführer gibt.

Ob lyrisch verzärtelt oder als dramatisches Testosteron-Ereignis: Jonas Kaufmanns Singen haftet dabei etwas sympathisch Altmodisches an. Auf kleine Schluchzer, effektvoll abgerissene oder nachgedrückte Töne mag er nicht verzichten – was bei dieser Opernliteratur stilistisch in Ordnung geht. Problem ist eher, dass sich die emotionalen Grenzerfahrungen dieser Verismo-Helden eine Spur zu deutlich in Kaufmanns Gesang widerspiegeln. An sein abgedunkeltes, baritonales Timbre hat man sich ja gewöhnt, weniger an die noch immer angetäuschte Mezzavoce, die wie unter zu viel Staudruck erzeugt wird. Und manchmal schleicht sich auch ein ungesunder, leicht angestrengter und heiserer Klang ein: Ob diese CD zu hastig, in zu wenigen Tagen produziert wurde?

Doch Versöhnungsangebote gibt es dafür einige. Zum Beispiel das triumphale gesteigerte „Cielo e mar“ aus Ponchielles „La Gioconda“ oder die Ausschnitte aus Giordanos „Andrea Chenier“ , hier vor allem das Duett mit Eva-Maria Westbroek: Minuten, die eine Münchner Premiere geradezu zwingend werden lassen – wenn Intendant Nikolaus Bachler nicht schon längst aktiv geworden ist.






 
 
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