Klassik.com, 3.1.2013
Benjamin Künzel
 
Atemberaubender Opernthriller
Diese DVD ist vorbehaltslos zu empfehlen. Spannender und aufregender war 'Tosca' in jüngerer Zeit selten!
 
Mit der DVD-Veröffentlichung der Londoner 'Tosca'-Wiederaufnahme vom Juli 2011 ist dem Label EMI ein kleiner Geniestreich gelungen. Giacomo Puccinis konzentriertes Musikdrama ist hier in einer konsequenten Inszenierung mit großartigen Solisten zu erleben. Selten geht eine naturalistische Umsetzung so lückenlos auf, selten können Sängerdarsteller auf Ton- und Bildträger so nachhaltig überzeugen. Würde man Angela Gheorghiu, Jonas Kaufmann und Bryn Terfel als singende Schauspieler bezeichnen, so hätte man den Eindruck, man würde ihre vokalen Qualitäten den darstellerischen unterordnen. Dabei sind bei ihnen eben beide Komponenten so untrennbar miteinander verbunden, wie es idealer nicht sein könnte.

Oft schon hat man 'Tosca' als üppige Ausstattungsorgie erlebt, oft auch als Spielfeld einer umjubelten Primadonna oder eines stimmpotenten Tenors, die im Laufe der Aufführung die Rampe öfter beglücken als notwendig und im richtigen Moment theatralisch ihr Bühnenleben aushauchen. Die besondere Qualität des vorliegenden Mitschnitts liegt aber in der fast schon filmischen Genauigkeit, mit der die Figuren agieren und reagieren. Jeder Handgriff ist aus dem Text oder aus der Musik heraus motiviert. Selbst bei Nahaufnahmen stört kein Seitenblick zum Dirigenten – die Darsteller gehen voll und ganz in ihren Charakteren auf. Das detailverliebte und effektvolle Bühnenbild von Paul Brown macht die Illusion perfekt, in einem atemberaubenden Opernthriller gelandet zu sein. Dieser Realismus in Jonathan Kents Regie funktioniert lückenlos. Da stirbt vermutlich sogar bei hartgesottenen Regietheater-Anhängern die letzte Skepsis vor einer traditionellen Lesart.

Doch diesen Opernrealismus muss man als Darsteller auch umsetzen können. Und das gelingt den Sängern dieses Londoner Mitschnitts hervorragend. Angela Gheorghiu ist eine Tosca von feurigem Temperament und bestechender Eleganz. Schon bei ihrem ersten Auftritt glaubt man ihr die eifersüchtige Künstlerin mit einem Hang zum Dramatisieren. Ihr glutvoller Sopran verleiht der Figur jene faszinierende Note, die eine Floria Tosca braucht. Ob im Duett mit Cavaradossi oder im emotionalen Auf und Ab des zweiten Aktes, stets findet Gheorghiu den richtigen Tonfall. Sie singt die Tosca nicht bloß, sie lebt sie. Dass dabei kleine Manierismen gepflegt werden und das 'Vissi d’arte' in seiner Ausführung ganz in der Tradition großer Operndiven steht, unterstreicht in diesem Fall nur ihre Figurenzeichnung. Ein effektvoller Einfall ist ihre bemerkenswert individuelle Färbung von 'Presto, su! Mario! ' am Ende des dritten Aktes. Die kindliche Freude und Erleichterung, die in ihrer Stimme mitschwingen, vergrößern die Fallhöhe so immens, dass ihr Begreifen der tödlichen Realität noch tragischer wird.

Als Cavaradossi wirft sich Jonas Kaufmann mächtig ins Zeug. Die dunkle Grundierung seines Tenors und sein blendendes Aussehen machen ihn zu einer faszinierenden Bühnenerscheinung. Anfänglich muss man sich an die zahlreichen Schluchzer und Portamenti gewöhnen, doch dann wird man schlagartig von seinem 'Tosca, sei tu! ' entwaffnet, das wie eine Leuchtrakete zum Himmel steigt und prompt den ersten Beifall provoziert. Ebenso intensiv und schonungslos wie seine Bühnenpartnerin glänzt Kaufmann durch seine natürliche Darstellung und seine vokale Pracht, die immer im Dienst der Rolle steht. Bei seinen ‚Vittoria!‘-Rufen jagt dem Zuhörer ein wohliger Schauer über den Rücken und seine sportliche Art, die Kirchentreppen hinauf und hinunter zu rennen, lässt einen sofort vergessen, dass hier auch noch vokaler Hochleistungssport betrieben wird.

Dritter im Bunde ist Bryn Terfel als Scarpia. Auch er ist ein großartiger Charakterdarsteller, der schon mit seinen ersten Tönen jenen Gewaltmenschen markiert, der alles bekommen wird, was er will. Dabei beherrscht Terfel die Kunst der Zwischentöne und Farbschattierungen. Mal presst er seinen Text zwischen den Zähnen hervor, an anderer Stelle verführt er mit widerlich balsamischem Wohlklang, dann wieder bricht sich das Gift mit brachialer Gewalt Bahn. Sein regelrecht lustvolles 'Te Deum' verbreitet Angst und Schrecken.

Am Pult des Orchestra of the Royal Opera House sorgt Antonio Pappano für die notwendige dramatische Grundierung und Flexibilität. Pappano hat ein untrügliches Gespür dafür, wann er effektvoll auftrumpfen kann und wann er sich unterstützend in den Hintergrund spielen muss. Dabei bleibt er stets am Nerv des Dramas, lässt den Sängern Raum für individuelle Gestaltung und gibt ihnen vor allem die Freiheit, ihre Partien auszuspielen. Die Pause nach Cavaradossis Erschießung scheint in ins Unendliche gedehnt, man traut sich kaum zu atmen.

Aus dem übrigen Ensemble ragen der im rechten Maß unsympathische Mesner von Jeremy White, der kraftvolle Angelotti von Lukas Jakobski und der gespenstisch anämische Spoletta von Hubert Francis hervor. Diese DVD ist vorbehaltslos zu empfehlen – spannender und aufregender war 'Tosca' in jüngerer Zeit selten!






 
 
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