Klassik.com, 27.09.2009
Benjamin Künzel
 
Der Schwanenritter heißt Jonas
Man kann jene Elsa von Brabant nun wirklich verstehen: Den Namen dieses Schwanenritters muss man einfach kennen, und zwar aus dem praktischen Grund, seine weitere Karriere und die damit verbundenen Opernpartien zu verfolgen und bewundern zu können. Der Schwanenritter heißt Jonas Kaufmann und ist der wohl international erfolgreichste deutsche Tenor seit Jahrzehnten. Denn Kaufmann ist nicht allein auf die deutschen Partien gebucht, sondern reüssiert auch im französischen wie im italienischen Fach. Seine zweite Solo-CD bei Decca konzentriert sich im Gegensatz zu seinem ersten Recital nun auf die deutschsprachigen Rollen seines Repertoires. Da stehen bereits gesungene Partien wie der Tamino, Florestan oder Schuberts Fierrabras neben bereits anklingenden Zukunftsplänen wie dem Siegmund oder dem zum Zeitpunkt der Aufnahme noch ausstehenden Lohengrin-Debüt. Claudio Abbado trägt den jungen Tenor am Pult des Mahler Chamber Orchestra auf Händen durch die musikalische Epoche der beginnenden und ausklingenden Romantik.

Das Album trägt den bedeutungsvollen Titel ‚Sehnsucht‘, was nicht wirklich originell erscheint, da Opernfiguren ohne irgendeine Form der Sehnsucht rar gesät sein dürften. Auf dem Cover prangt eine leicht ins Ironische abgleitende, wenngleich aus Marketing-Gründen vermutlich wirkungsvolle Bild-Montage, die Jonas Kaufmann als einsamen Wanderer über dem Friedrichschen Nebelmeer zeigt. Im Gegensatz zum Original kehrt der Einsame dem Betrachter aber nicht den Rücken zu, sondern blickt ihn mit suchendem Ausdruck an. Mit eben dieser unverhohlenen Direktheit berührt auch Kaufmanns Gesang, und die störenden Äußerlichkeiten von Seiten der Plattenfirma sind nach den ersten Tönen vergessen.

Diese Tenorstimme birgt wahres Suchtpotential und man muss sich gehörig zusammenreißen, um nicht die üblichen Vergleiche mit verstorbenen deutschen Tenorkollegen zu zitieren. Allein schon wie Jonas Kaufmann die Gralserzählung aus Wagners 'Lohengrin‘ gestaltet, schlägt in der Feinheit der Dynamik, der textlichen Ausformung und klugen Farbschattierungen den Hörer unweigerlich in seinen Bann. Dass dieser Lohengrin gleich im zweiten Track seinen Abschied nehmen muss, ist bereits als persönliche Tragödie des gebannten Genießers zu werten. In diesen beiden Ausschnitten aus 'Lohengrin‘ entfaltet sich schon zu Beginn des Albums die wohlüberlegte und unverstellte Kunstfertigkeit von Jonas Kaufmann. Er besticht durch seine ebenmäßige Tonführung, die auf einem männlich, kernigen Fundament ruht und beherrscht ebenso die effektvollen, hauchzarten Piani wie in der Passage 'alljährlich naht vom Himmel eine Taube’. Kurzum: Dieser Lohengrin hat alles, was man sich nur wünschen kann.

Da haben es die folgenden Rollenporträts unweigerlich schwerer, wenngleich Kaufmann auch hier alle Register zu ziehen imstande ist. Sein Tamino ist wahrlich kein säuselndes Leichtgewicht, sondern verfügt über eine heldische Komponente, die sich hervorragend mit dem lyrischen Grundton mischt. Bei Florestans Arie 'Gott! Welch Dunkel hier!’ verhält es sich gerade andersherum. Kaufmann tritt eben nicht in die Fußstapfen von Jon Vickers, Wolfgang Windgassen oder Hans Hopf, sondern betont die Gebrochenheit des Charakters in der lyrischen Feinheit des Vortrags, ohne jedoch die leidenschaftlichen Ausbrüche vermissen zu lassen.

Aus opernhistorischer Sicht sind die beiden Schubert-Arien aus 'Fierrabras‘ und 'Alfonso und Estrella‘ durchaus interessant, und es ist verdienstvoll, solche Außenseiter des gängigen Repertoires auf diese Weise rehabilitieren zu wollen, aber wirklich begeistern wollen diese Raritäten nicht. Es mag an der mangelnden Vertrautheit mit dem dramatischen Ablauf der Opern liegen, aber diese Arien bilden im Verlauf des Albums eine anstrengende Hürde. Auch die ‚Winterstürme’ des Siegmund kommen nicht so recht aus dem sehnsuchtsvollen Nebel eines „notwendigen“ Tenor-Schlagers heraus und erscheinen leicht verzichtbar. Die Versöhnung zum Schluss sind die beiden Ausschnitte aus Wagners 'Parsifal‘ mit Kaufmanns Ehefrau Margarete Joswig als Kundry, nicht zuletzt wegen Claudio Abbados wehmütiger Ausleging. Dieses Album weckt wahrhaft Sehnsucht – die Sehnsucht nach mehr!






 
 
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