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Merkur, 12. September 2015 |
Markus Thiel |
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Der starke Mann und das Mehr |
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Echte
Fans müssen nun höllisch aufpassen. Die eine Silberscheibe ist nämlich pfui,
die andere hui – wie es eben so geht, wenn man die Firma wechselt: Früher,
da war Jonas Kaufmann bei Decca unter Vertrag, jetzt ist er es bei Sony.
Und weil alle Labels das Problem haben, dass eigentlich nur
Arien-CDs bei vier Sängern richtig Geld bringen (eben Kaufmann, dazu
Netrebko, Bartoli und Domingo), ist der Ex-Partner auf eine List verfallen:
Rechtzeitig zum Erscheinen des Puccini-Albums bei Sony in dieser Woche
bündelte die Decca einfach Archivmaterial mit dem Star zu „The Age of
Puccini“. Nur drei Arien Puccinis finden sich darauf, aber egal. Ohne sein
Wissen und seine Zustimmung sei das passiert, poltert der Tenorissimo online
(und juristisch gesehen ziemlich ohnmächtig): „Liebe Freunde, lasst euch
nicht täuschen.“
Das bizarre Geplänkel dokumentiert, wie eng es
geworden ist auf dem CD-Markt. Und wie wichtig solche Produkte sind, um
anderes, Ambitionierteres aus dem eigenen Hause querzufinanzieren. Kaufmann,
der Elyas M’Barek der Klassikszene, garantiert eben für Quote. Zudem liefert
der 46-Jährige, der zurzeit einen ähnlichen Rollenfresser wie Domingo in
seinen Hoch-Zeiten gibt, ja (noch) Spitzenklasse.
Puccini steht
Kaufmann, der gern volle Vokalkraft voraus segelt, extrem gut. Das Album
trägt, ebenfalls aus Kassengründen, den Titel „Nessun dorma“. Doch nicht der
Open-Air-Schlager, der (dies für die eher Unerfahrenen) tatsächlich Teil
einer Oper ist, markiert den Höhepunkt der CD, sondern die Ausschnitte aus
„La fanciulla del west“. Puccinis Saloon-Stück, besonders die Partie des
Banditen Remerrez passt zum robusten Zugriff. Singen, das macht ja den
einzigartigen Charme von Jonas Kaufmann aus, ist nicht nur Fitnessübung und
Muskelspiel, sondern hat auch etwas Freigiebiges, Offenherziges,
Verschwenderisches..
Das überrumpelt nicht nur bei der „Fanciulla“,
sondern auch in den Häppchen aus „Manon Lescaut“, für die seine Münchner
Bühnenpartnerin Kristine Opolais mit ihrem ältlich klirrenden Sopran
verpflichtet wurde – ein Beleg dafür, dass manche Solisten zum überzeugenden
Gesamtkunstwerk eben doch erst durch die visuelle Komponente werden.
Jonas Kaufmanns stete Entäußerungsarbeit hat jedoch ihre dunkle Seite. Und
die hört man ebenfalls beim Des Grieux, im „Ah! Manon, mi tradisce“. Hier
wie auch in manch anderen Nummern treibt der Münchner seinen Tenor an den
Anschlag. Das ist spektakulär, bedingt aber einige „leere“, unter zu hohem
Druck erkaufte Töne. Was Kaufmanns Gestaltung insgesamt fehlt, ist die
Nonchalance, die Eleganz, das „Beiseitesingen“. Besonders eklatant ist das
in der Arie aus „Gianni Schicchi“, die zum Minimusikdrama hochgepegelt wird,
aber auch im „Addio, fiorito asil“ aus „Madama Butterfly“, bei Kaufmann
aufgeputschte Minuten des existenziellen Grenzgangs. Das ist eben das
Problem: Während andere Kollegen mit hartem Stimmkern und scharf gebündeltem
Tenorstrahl Parkett, Ränge oder Mikrofone beschallen, operiert der Münchner
mit einem breiten Ansatz. Für dramatische Passagen muss er daher mehr Kraft
aufwenden und wie gegen eine Barriere ansingen. Das tönt einerseits nach
Testosteron-Entladung, kann andererseits auf lange Sicht Raubbau bedeuten.
Doch was kümmert die Zukunft: Noch labt man sich an Kaufmanns Kunst. Zumal
es auf dieser CD ja auch die anderen Nummern gibt. „O soave fanciulla“ aus
„La bohème“ etwa wird zur wie versonnen gestalteten, lyrischen Insel. Und
das „O soave vision“ aus „Edgar“ setzt Kaufmann ganz leicht, ganz behutsam
an, ohne zu säuseln. Geht doch, möchte man ihm zurufen.
Dass keine
billige Sättigungsbeilage spielt, sondern mit Antonio Pappano und seiner
Accademia Nazionale di Santa Cecilia die bestmöglichen Partner gebucht
wurden, hebt diese CD über viele Vergleichsprojekte hinaus. Pappano führt
vor, wie man Puccini begegnen muss: mit fülligem Klang, aber eben doch
geschmeidig, flexibel, nie erdenschwer oder angestrengt. Ungeplant wird man
da mit zwei verschiedenen Puccini-Ansichten konfrontiert. Pappano nimmt
Druck heraus, wo Töne-Malocher Kaufmann ständig im hohen Volt-Bereich
operiert. Dieses ständige Außersichsein ist es, was manchmal ermüdet – und
vielleicht zum Gutteil an Giacomo Puccini liegt. Insofern bietet das schnell
zusammengeschnittene Konkurrenzprodukt der Decca dem Fan ein bisschen
Abwechslung. Auch wenn der Star dann ganz, ganz böse wird.
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