Augsburger Allgemeine, 30.06.2020
VON STEFAN DOSCH
 
„Bei Jonas Kaufmann muss Otello nicht nur schmettern
 
Der deutsche Sänger gestaltet Verdis anspruchsvollste Tenorpartie mit Bedacht. Kann er mit berühmten Vorbildern mithalten?
 
Unter Studiobedingungen produzierte neue Opernaufnahmen sind selten geworden, die Plattenfirmen wollen oder können die Kosten nicht mehr stemmen. Umso mehr merkt man auf, wenn doch mal wieder eine auf dem Markt erscheint, schon gar, wenn sie dem „Otello“ von Giuseppe Verdi gilt.

Mit der Partie des Außenseiter-Admirals hat es tatsächlich etwas Besonderes auf sich. Der Otello ist nicht fürs Belcanto-Fach geschrieben, sondern für einen zu allen Facetten des dramatischen Ausdrucks fähigen Tenor. Einer, der Kraft und Gefühlswallung mit der Stimme ebenso zu transportieren vermag wie Verzweiflung und – ganz wichtig – Sanftheit. Es gibt nicht viele Tenöre, die solcher Bandbreite entsprechen können; deshalb gibt es auch wenige wirklich gute Otellos.

Beim Debüt waren die Reaktionen gedämpft
Dass Jonas Kaufmann sich dieser Aufgabe stellt, ist ein weiterer Grund hineinzuhören in die von Antonio Pappano geleitete, bei Sony erschienene Einspielung, zählt der Tenor aus München doch zu den Besten gerade auch im italienischen Fach. Kaufmann hat mit dem Otello erst vor ein paar Jahren auf der Bühne debütiert, die Reaktionen waren damals gedämpft bis kritisch. Auch jetzt sind wieder die Erbsenzähler am Werk, die Kaufmanns Intonieren der „Töne F' oder G', besonders auf den Vokal A“, als „kehlig und wie gegurgelt“ bemäkeln.

Über wenige andere Gesangspartien herrschen derart festgefahrene Rollenbilder wie bei Otello. Bis heute wirkt die mehrfach dokumentierte Darstellung des Chilenen Ramon Vinay in den 40er und 50er Jahren nach. Vinay hatte sich als genuiner Bariton buchstäblich hochgearbeitet, sein dunkel gefärbtes Timbre verströmte hitzige Männlichkeit.

Aber wollte Verdi das? Überliefert ist, dass ihm für Otello anderes wichtig war, nämlich die Fähigkeit, auch mezza voce, also mit „halber“, zurückgenommener, dennoch prägnanter Stimme zu singen. Hört man sich Aufnahmen von Francesco Tamagno, dem von Verdi bestimmten Uraufführungs-Otello, aus der Frühzeit der Schallaufzeichnung an, so stellt man fest, dass da keineswegs ein vokaler Kraftprotz schmetterte, sondern eine unerwartet helle Stimme erklang.

Kaufmann gerät die Fallkurve überzeugend
Otellos erster Auftritt ist einer der markantesten Opener des Musiktheaters. „Esultate!“ („Jubelt!“) – gewiss, hier muss man vokale Flagge zeigen. Und ja, Jonas Kaufmann trommelt sich hier nicht vokal auf die Brust. Doch auch, wenn seine Eröffnung nicht so testosteronprall daherkommt wie bei Vinay oder bei Mario del Monaco, klingt sie doch hinreichend siegesstolz. Doch das „Esultate“ ist eben nur die – höchstenfalls – halbe Partie. Die genannte breite Stimmungs- und damit sängerische Palette des Otello breitet Kaufmann im weiteren Verlauf umso eindrucksvoller aus. Otellos Liebesempfinden gegenüber Desdemona am Ende des 1. Akts gestaltet er herausragend mit zartseiden intonierten Glücksbekundungen. Nicht weniger gelingen im Folgenden die Eifersuchtsanfälle, wenn Kaufmann jäh die Temperatur des Stimmklangs erhöht, die Farbe schlagartig wechselt. Das gelingt ohne Übertreibungen, beschränkt sich auf den Einsatz rein vokaler Mittel. Umso überzeugender gerät ihm die Fallkurve seines Helden.

Dass die Neuaufnahme ein Wurf ist, dazu tragen auch Carlo Álvarez als subtil boshafter Jago und Federica Lombardi als schuldlos überrumpelte Desdoma bei. Und vollends Antonio Pappano, der mit seinem römischen Santa-Cecilia-Orchester den Kessel des Dramas unerbittlich schürt. Einen besseren „Otello“ wird es so bald nicht geben.
















 
 
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