Opernwelt, August 2005
Jörg Königsdorf
 
Wenn Elfen erwachen
Die Konkurrenz ist klein, aber umso hochkarätiger: Jede der drei bislang erhältlichen Studioaufnahmen des «Oberon» prunkt mit einer Starbesetzung, wie sie Repertoire-Raritäten sonst kaum jemals zuteil wird. Von Plácido Domingo, Birgit Nilsson und Hermann Prey in der berühmten Kubelik-Aufnahme (Deutsche Grammophon) über James Conlons 1992 entstandene Aufnahme der Mahler’schen Bearbeitung des Stücks mit Ben Heppner und Deborah Voigt (EMI) bis zu Marek Janowskis vier Jahre später entstandener Version (BMG), die mit Namen wie Peter Seiffert, Bo Skovhus und Vesselina Kasarova prunkt – wenn es gilt, die musi­kalischen Qualitäten von Webers Opus ultimum ins rechte Licht zu rücken, werden offenbar weder Kosten noch Mühen gescheut. Angesichts dieses Verdrängungswettbewerbs scheinen die Erfolgschancen einer abermaligen Einspielung eigentlich gering: Welcher Tenor könnte beispielsweise mit der stellaren Hüon-Darbietung des jungen Ben Heppner mithalten, welche Rezia hätte schon für das berühmte «Ozean, Du Ungeheuer» Nilsson’sche Brünnhilden-Töne parat?

Dass die jetzt bei Philips erschienene Neueinspielung keineswegs überflüssig, sondern im Gegenteil dem Werk weit angemessener ist als ihre Vorgänger, liegt weniger daran, dass sie die erste in der englischen Originalsprache darstellt, sondern vor allem an John Eliot Gardiner. Sir John liefert ein atemberaubendes Plädoyer für den Einsatz historischer Instrumente und Spieltechniken: Nie haben die Szenen des Feenkönigs elfenhafter geklungen als bei den (glück­licher­weise nicht zu trocken aufgenommenen) Streichern des Orchestre Révolutionnaire et ­Romantique, nie wurde die märchenhafte Grundstimmung des Stücks so deutlich. Das gilt schon für den langsamen Teil der Ouvertüre, deren Hornmotiv tatsächlich geradezu verzaubert, jenseitig klingt, in deren flatternden, glucksenden Holzbläserstimmen man versteckte Kobolde wähnt. Der transparente Klang der Originalinstrumente passt jedoch auch prächtig zu den Szenen des leidgeprüften Liebespaars Hüon und Rezia. Nutzt Gardiner das transparente Klangbild, um die handlungsantreibenden tiefen Streicher gegenüber den oft atmosphärisch kolorierenden Violinen abzusetzen, macht er zugleich die stilistische Ambiguität von Webers Musik zwischen Mozart’schem Singspiel und den Heroisierungstendenzen der Opernsprache im Gefolge Rossinis und Cherubinis deutlich. Ein Ansatz, zu dem die oben genannten Wagner-Stimmen wohl ohnehin nicht gepasst hätten. Mit Jonas Kaufmann und Hillevi Martinpelto hat Gardiner zwei Sänger gefunden, die stimmlich genau an diese Schnittstelle vom 18. zum 19. Jahrhundert passen, die noch Idomeneo und Pamina im Blut haben, aber auch genug Basis für die dramatischere Pose der Frühromantik besitzen. Dem Stück tut das nur gut – endlich einmal hört man, dass Rezias «Ozean»-Szene der Monolog einer völlig verängstigten Frau ist, die nur durch den Mut der Verzweiflung zu ihren vokalen Kraftakten gegen das Orchester getrieben ist und deren Ausweichen in die lyrischen Passagen von der Sehnsucht nach Ruhe künden. Domingo, Voigt und Co. vergisst man jedenfalls schnell beim Anhören dieser stimmig besetzten und von einem wohltuend dezenten Erzähler kommentierten Aufnahme. Und das sagt eigentlich genug.

Weber: Oberon.
Steve Davislim (Oberon), Jonas Kaufmann (Hüon), Hillevi Martinpelto (Rezia), Marina Comparato ­(Fatima), William Dazeley (Scherasmin), Frances ­Bounre (Puck), Roger Allam (Erzähler). Monteverdi Choir, Orchestre Revolutionnaire et Romantique, John Eliot Gardiner.
Philips 475 65 63 (2 CDs); AD: 2002.
 






 
 
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