Klassik heute, 12.11.2009
Mario Gerteis
Die schöne Müllerin
 
Jonas Kaufmann, kürzlich 40 geworden, ist gerade dabei, die Gefilde eines lyrischen Tenors gegen dramatischere Regionen einzutauschen, ohne bisherige Eigenheiten ganz preiszugeben. So ist jetzt vielleicht der richtige – und möglicherweise auch der letzte – Moment für die Erarbeitung eines der grossen Liedzyklen Franz Schuberts. Kaufmann wählte Die schöne Müllerin, weil er der Ansicht ist, dass zu dieser Folge eine junge Stimme gehört: „…der Interpret sollte nicht allzu reif klingen“. Das ist wohl doch ein bisschen tiefgestapelt, denn Kaufmann ist durchaus ein wissender, also ein reifer Sänger, der sehr bewusst an eine Aufgabe herangeht. Immerhin, sein Tenor wirkt unverbraucht, kann natürlich fliessen – und ist damit ein starkes Plädoyer für die tenorale Originalfassung der Müllerin.

Kaufmann will auch nicht ein blosser Berichterstatter über Liebesglück und Liebesleid des Müllerburschen sein, sondern gewissermassen als Betroffener vokal agieren. Kurzum, Identifikation wird angestrebt, da kommen dem Sänger natürlich seine Theaterfahrungen zugute. Er kann die ganze Skala zwischen unbefangener Lockerheit und schmerzlichem Aufbegehren nutzen, vom flüssigen Parlando zur atemlosen Erregung. In den ersten Liedern betont er gelegentlich das Unbeschwerte, ja Ungestüme fast zu sehr – in der obersten Stimmlage neigt er zu leicht forcierten Crescendi. Das hat sein ausgesprochen heller Tenor eigentlich gar nicht nötig. Die Mühelosigkeit der Linienführung ist bestechend, das Espressivo dabei immer voll ausgebildet – in der Tat scheint diese Stimme fast zu voluminös, um sich von einem historischen Fortepiano begleiten zu lassen; daher erkor Kaufmann einen klangmächtigen modernen Flügel mit dem versierten Helmut Deutsch zum Akkompagnement.

Kaufmanns durchdachtes Gestalten wird wohl am deutlichsten in den Strophenliedern, deren Wiederholungen er deutlich, nie aber aufdringlich variiert. Ob er die Erregung der Gefühle pulsieren lässt (Ungeduld), ob er die Schönheiten der Angebeteten beschwört (Mit dem grünen Lautenbande), stets weiss er mit kleinen Nuancen die emotionale Situation zu fassen. Wie tief er damit in ein verzweifeltes Herz eindringt, belegt der fünfstrophige Schlussgesang. Da kann kein Zweifel daran bestehen, dass Des Baches Wiegenlied einem Toten gilt, der seinen Liebesschmerz nicht mehr auszuhalten vermochte. Das erreicht eine derartige Intensität nach innen, dass zu Recht – es handelt sich um einen Live-Mitschnitt aus dem Münchner Max-Joseph Saal – der Beifall weggeblendet wurde.






 
 
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