Sony setzt in diesem Herbst einen Puccini Schwerpunkt für sein
Tenorzugpferd Jonas Kaufmann. Nach dem reinen Puccini Album bringt
das Label nun die Verfilmung der Manon Lescaut-Inszenierung aus
London 2014 auf den Markt, im November wird die „Fanciulla del West“
aus der Wiener Staatsoper mit Kaufmann und Stemme folgen.
Die
Eindrücke dieser Aufführung und deren optische Entsprechung auf dem
Medium Blu-ray sind in den ersten zwei Akten durchaus zwiespältig,
erst in der zweiten Hälfte intensiviert sich dramatischer Gesang und
adäquates Spiel zu einem großen Theaterabend. Doch der Reihe nach:
Manon Lescaut ist sicherlich nicht Puccinis bestes Werk, entschädigt
aber durch die jeweils 5-8 Minuten ganz große Emphase in jedem Akt,
wenn entweder Des Grieux oder Manon ihre Arien und Duette singen
dürfen.
In der vorliegenden Aufnahme muss man anfangs einiges
durchhalten um diese musikalischen Höhenflüge genießen zu können,
zum Bespiel einen asynchron zum Orchester singenden Chor mit
wackeligen Frauenstimmen oder eine zaghaft unschlüssige Szenerie,
die zwischen Broadway-Musical Stereotypen (Kneipe, studentische
Straßenszenen wie in West Side Story, Spieltisch, ein Mercedes statt
Postkutsche, die Geronte, Lescaut und Manon abliefert) und
konventioneller Oper ins Unentschieden abdriftet. Anfänglich wirkt
auch befremdlich, dass sich Kristine Opolais noch warm singen muss
und Kaufmann nicht ganz in seine Rolle gefunden hat. Nur Christopher
Maltman als „zuhälterischer“ Bruder Lescaut ist vom ersten Moment an
da, präsent und stimmlich markant. Maurizio Murarao ist von Typ her
ein schmieriger Geronte de Revoir, ein mit allen Wassern gewaschener
feister Lebemann, allerdings mit allzu „harmlos“ timbrierter Stimme.
Publikumsliebling Benjamin Hutton als langhaariger Edmondo reüssiert
in der kleinen Rolle des Studenten und kann am Ende dafür den
drittgrößten Applaus einheimsen.
Im 2. Akt kommt alles so wie
es musste: Manon ist ihrem (langweiligen) Lover des Grieux
überdrüssig, und suhlt sich lasziv in einem rosa Bett in einer Art
Peep-Show Versuchsanordnung für Geronte und seine in Masken
anwesenden Freunde. Die Bettszenen sind nach Hausfrauenart, eine
kleine lesbische Einlage mit dem Musiker (Nadezhda Karyazina mit
wackliger Stimme) darf nicht fehlen, bevor es zur großen
Auseinandersetzung Manon-Des Grieux kommt. Jonas Kaufmann ist
stimmlich in absoluter Topform angelangt und zeigt ganz große Oper.
Szenisch agiert er wie so manches mal etwas unbeholfen. In der
absolut jugendfreien Liebesszene mit Manon wirkt er eher wie ein
Teenie, der zum ersten Mal Bussi geben darf. Das macht dann schon
einen unfreiwillig komischen Eindruck, zumal hier Nahaufnahmen jede
mimische Unsicherheit gnadenlos aufdecken. Das Problem mit den
schlankernden Armen einmal beiseite gelassen. Kristine Oplolais ist
dagegen darstellerisch eine Wucht, wahrhaftig, eindringlich und mit
jener Leichtigkeit gesegnet, die begnadeten Akteuren vorbehalten
ist. Sie bewegt sich auf der Szene und vor der doppelten Kamera so,
als würde sie das in Hollywood jeden Tag tun. Ihre Stimme ist so ein
Fall, wo sich wahrscheinlich die Geister scheiden: Sie „hat“ alles,
intoniert lupenrein sauber, verfügt auch über ein reizvolles
exotisches Timbre, ein wenig in Richtung Anna Moffo. Auf der
Sollseite erleben wir eine kleindimensionierte Stimme à la te
Kanawa, eine bisweilen flackernde Mittellage und so manch scharfe
Höhe. Von der Expansionsfähigkeit und dramatischen Wucht her kann
sie nicht im Ansatz mit dem aus dem Vollen schöpfenden Jonas
Kaufmann mithalten, sodass sie vokal keine Partnerin auf dessen
Augenhöhe ist.
Im dritten Akt, wo alle Prostituierten
deportiert werden und es letztendlich Des Grieux gelingt, seine
Geliebte über einen Spieltisch auf das Schiff ins Exil begleiten zu
dürfen, gewinnt das Drama sowohl von der Szenerie her als auch vokal
schließlich an Eindringlichkeit. Final kommt das filmische Moment zu
seinem Recht und Jonas Kaufmann als auch Kristine Opolais steigern
sich auf ihrer Flucht zu einer bewegenden Sterbeszene auf einem
abgerissenen Strassenstück inmitten von Nowhere.
Antonio
Pappano dirigiert das Orchester des Royal Opera House Covent Garden
mit Sinn für das Detail, insgesamt aber doch (zu) schwer und
behäbig. Rein klanglich ertönt das Orchester merkwürdig hell, die
Stimmen dagegen sind sehr präsent und natürlich eingefangen.
Es ist spannend zu sehen, dass eine quirlige Szenerie mit vielen
Personen filmisch auf dem Theater kaum in den Griff zu bekommen ist.
So bildet die nunmehr veröffentlichte Produktion ein wichtiges
Dokument einer neuen Rolle für Jonas Kaufmann. In seiner Karriere
sicherlich ein weiterer Meilenstein auf dem Weg in stimmlich
dramatischeres Fahrwasser. Mit großen Aufnahmen aus der
Vergangenheit (Caballé-Domingo, Scotto-Domingo, Tebaldi-del Monaco
Freni-Domingo) kann sich der Mitschnitt nicht messen.
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