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NZZ, 1.7.2017 |
von Bjørn Woll |
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Mit einer Stimme |
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Jonas
Kaufmann singt in Gustav Mahlers «Lied von der Erde» als erster Sänger der
Plattengeschichte nicht nur die Lieder für Tenor, sondern auch die für Alt
beziehungsweise Bariton – ein nachahmenswertes Experiment?
Anfang des
Jahres machte der Star-Tenor Jonas Kaufmann vor allem durch Absagen von sich
reden. Ein Kapillar auf den Stimmbändern war geplatzt – die Heilung braucht
eine Weile. Mittlerweile steht der Sänger wieder auf der Bühne. Doch will er
künftig kürzertreten, Engagements im Ausland sollen höchsten zwei Wochen
dauern, er möchte mehr Zeit mit der Familie verbringen, liess er verkünden.
Eine geplante «Tosca» an der New Yorker Met war ein erstes Opfer der neuen
Auftrittspolitik. Dennoch folgte im Juni das Rollendebüt als Otello an
Covent Garden, endlich also angekommen im ganz schweren Heldenfach.
Fast zur gleichen Zeit erschien Gustav Mahlers «Lied von der Erde»,
aufgenommen im Juni 2016 mit den Wiener Philharmonikern unter Jonathan Nott
(Sony, 889853898329). Allein die drei Tenorlieder des Zyklus sind eine
Tour-de-Force für jeden Tenor, doch Obacht: Kaufmann singt, als erster
Sänger der Aufnahmegeschichte, auch die Lieder für Alt beziehungsweise
Bariton – an Selbstvertrauen hat es Kaufmann noch nie gemangelt.
Ein
Sänger reicht
Gustav Mahler hat selbst auf dem Titelblatt der
Partitur vermerkt, dass seine Sinfonie «für eine Tenor- und eine Alt oder
Baryton-Stimme» gedacht sei. Mahler nahestehende Dirigenten wie Bruno Walter
und Otto Klemperer gaben dem Alt dezidiert den Vorzug, weil «zwei
Männerstimmen monoton klingen». In letzter Zeit häufen sich Einspielungen
und Aufführungen in der Version mit einer Baritonstimme. Nun ist es sogar
nur noch eine einzige Stimme: diejenige von Jonas Kaufmann.
Der
schlägt sich im eröffnenden «Trinklied vom Jammer der Erde» zunächst wacker,
und Mahler hat es seinen Interpreten hier wahrlich nicht leicht gemacht.
Selbst der emphatisch triumphierende Fritz Wunderlich (neben Christa Ludwig
in der legendären Klemperer-Aufnahme) brauchte mikrofonierte Schützenhilfe.
Kaufmanns Tenor ist freilich ein anderer Stimmtyp, grösser und breiter,
auch: rauer im Klang.
Das ist ein teilweise glorioses Singen, mit
einer imposant-ekstatischen Steigerung bei der Schreckensvision des
«wild-gespenstischen» Affen auf den Gräbern. Allerdings leistet sich
Kaufmann auch die ein oder andere Vokalverfärbung, sein Tenor verliert in
der Vollhöhe unter Druck manchmal den Fokus, und auch das Diminuendo auf dem
hohen A («in die Seele euch klingen») bereitet ihm hörbar Schwierigkeiten.
Eindringlich hingegen seine Diktion und Textausdeutung, mit der er durchaus
auf den Spuren des in dieser Hinsicht exemplarischen Julius Patzak wandelt.
Tenor oder Bariton?
Deutlich problematischer wird es in den
Liedern für tiefe Stimme: Dort finden sich zwar schöne Momente, doch in «Der
Einsame im Herbst» möchte die «Sonne der Liebe» nicht richtig leuchten. Das
ist auch eine Frage des Stimmfachs: Für den Tenor ist das obere Mittellage,
für Alt oder auch den Bariton schon strahlkräftige Höhe – das ändert den
Ausdruck. Evident zu hören auch im Abschied: Die hellen Vokale in «Wie eine
Silberbarke schwebt der Mond» gelingen Kaufmann gut, an die emphatische
Expansion eines Fischer-Dieskau oder Stephen Gadd – in der fast zeitgleich
erschienenen Aufnahme mit den Bamberger Symphonikern, ebenfalls unter
Jonathan Nott (Tudor, 812973012023) – reicht er nicht heran.
Insgesamt fehlt diesem letzten, so zentralen Satz die Expression eines
Christian Gerhaher, der Leidenston einer Janet Baker und das
identifikatorische Sich-Auflösen einer Kathleen Ferrier. Dass in diesem,
eine halbe Stunde währenden musikalischen Auflösungsprozess keine rechte
Stimmung von Weltschmerz aufkommt, geht aber auch auf das Konto der Wiener
Philharmonikern: Allzu «plärrig» kommen die Holzbläser teilweise daher. Oder
liegt's an der reichlich «blechernen» Aufnahmetechnik? Mit den Bambergern
klingt das alles sehr viel weicher, runder, transparenter.
Was
bleibt, ist einige Bewunderung für Jonas Kaufmann, schon für den physischen
Akt, den dieses Experiment abverlangt. Ein Plädoyer für weitere tenorale
Alleingänge ist es nicht.
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