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Nidwaldner Zeitung, 24. April 2017 |
Rolf App |
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Ein «Lied», das in einer aufwühlenden Zeit entstand |
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Obwohl
für zwei Stimmen und Orchester komponiert, macht der Tenor Jonas Kaufmann
Gustav Mahlers «Lied von der Erde» zum Soloprojekt. Dies gelingt, hat aber
ein quasi natürliches Manko.
Letztes Jahr hatte er ernsthafte
Probleme mit den Stimmbändern, jetzt ist Jonas Kaufmann (37) wieder da und
wird den Sommer rund um den Erdball jetten, Puccinis «Tosca» in Wien singen,
Verdis «Otello» in London, Wagners «Parsifal» in Sidney und Verdis «Don
Carlos» in Paris.
Parallel zu seiner Opernkarriere geht Jonas
Kaufmann in seinen CD-Einspielungen schon seit einigen Jahren interessanten
Liebhabereien nach. Nicht nur ein Verdi- und ein Puccini-Album sind so
entstanden, sondern auch eine Interpretation von Schuberts Liederzyklus
«Winterreise», weiter «Du bist die Welt für mich» mit Arien und Liedern aus
Operetten und «Dolce Vita»mit italienischen Evergreens. Der Sängerstar
schaut also auch ganz gern über die Genregrenzen.
Eine Überraschung
stellt auch Kaufmanns jetzt präsentierte Einspielung von Gustav Mahlers
«Lied von der Erde» dar. Er selber erzählt, er habe schon mit zwanzig
versucht, die Tenorpartie in diesen Orchesterliedern zu singen, und sei nach
der ersten Seite des einleitenden «Trinklieds vom Jammer der Erde»
stockheiser gewesen. «Das ist nun wirklich nichts für Anfänger.»
In
der Tat. Im ersten Stück muss der Sänger sich gegen das ganze grosse
Orchester behaupten, und der Synfoniker Mahler tritt deutlich in
Erscheinung. Dann aber wird es leicht und licht, manchmal auch tänzerisch
beschwingt, bis mit «Der Abschied» eine letzte, fast eine halbe Stunde
dauernde Etappe erreicht ist.
Mahler hat diese verkappte Sinfonie
1907 komponiert, in einer Zeit extremer Krisen. Zuvor war seine ältere
Tochter, Maria, mit fünf Jahren einen schrecklichen Tod an Diphterie
gestorben. Bei ihm selber wurde jene Herzkrankheit diagnostiziert, die vier
Jahre später zu Mahlers eigenem Tod führte. Und er trat nach immer
heftigeren antisemitischen Kampagnen als Direktor der Wiener Hofoper zurück.
Kaufmann vermeidet alles Theatralische
In dieser
aufwühlenden Zeit lernte Mahler einen fernöstlich inspirierten Gedichtzyklus
von Hans Bethge kennen, der ihn zum «Lied von der Erde» inspirierte, einem
sechsteiligen Zyklus für zwei Gesangsstimmen und Orchester. Bei diesen
Gesangsstimmen dachte Mahler zum einen an einen Tenor, zum andern an einen
Alt/Mezzosopran oder Bariton. So hat es vor einigen Jahren David Zinman mit
dem Tonhalle-Orchester Zürich, dem Tenor Christian Elsner und der
Mezzosopranistin Susan Graham befolgt.
Jonas Kaufmann hat sich
gefragt, wie es klingen würde, wenn er alle Lieder übernähme. Das Resultat
klingt sehr ansprechend, auch dank der Begleitung durch die Wiener
Philharmoniker unter Jonathan Nott. Aufnahmeort war der Musikvereinssaal,
also historischer Boden mit einer sehr warmen Akustik, die jedes Detail
plastisch hervortreten lässt.
Wobei das auch mit Mahlers
Kompositionsweise zu tun hat: Nach dem noch etwas wuchtigen «Trinklied»
gewinnt das Kammermusikalisch-Zarte die Oberhand, besonders schön im dritten
Lied, «Von der Jugend», wo Mahler mit seiner Klangmalerei sehr nah beim
Impressionismus ist. Die Leichtigkeit findet sich auch in Jonas Kaufmanns
Interpretation, der alles Theatralisch-Aufdringliche abgeht. Besonders schön
kommt dies im «Abschied» zur Geltung, wo Jonas Kaufmanns eher dunkles Timbre
nahtlos mit dem Orchester verschmilzt und er nur ganz sparsam Akzente setzt.
Doch bei aller Wertschätzung: Man vermisst doch den Wechsel der Stimmlagen,
das heisst: das weibliche Element.
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