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Klassik Heute, 05.10.2021 |
Ekkehard Pluta |
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Freudvoll und leidvoll
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Helmut
Deutsch ist nach eigenem Bekenntnis seit früher Jugend ein glühender
Bewunderer von Franz Liszt und es war ihm wohl auch ein Herzensanliegen,
sein lange Zeit sehr vernachlässigtes Liedschaffen wieder ins Bewusstsein
der Musikfreunde zu rücken. Ein Pionier ist er dabei nicht, denn zum
Liszt-Jahr 2011 gab es beim kleinen Label Marsyas eine verdienstvolle
sechsteilige Lied-Edition mit vielen echten „Ausgrabungen“, die aber ohne
nennenswerte Nachwirkungen im Konzert-Repertoire blieb. Der Einsatz von
Deutschs langjährigem Freund Jonas Kaufmann, der nun auf dem Zenith seines
Ruhmes steht, wird den Kompositionen möglicherweise eine größere
Breitenwirkung sichern.
Dass man Liszt als Liedkomponisten auf eine
Stufe mit Schubert, Schumann oder Brahms stellen kann, wird von Deutsch gar
nicht behauptet, zu uneinheitlich sind seine Beiträge zu dieser Gattung, in
stilistischer, aber auch in qualitativer Hinsicht. Er hat sich an großen
literarischen Vorlagen abgearbeitet – in Deutschland vor allem an Goethe und
Heine – und er hat um die Bewältigung der Dichtungen förmlich gerungen, oft
mehrere Versuche unternommen: Goethes Der du von dem Himmel bist etwa
existiert in vier Fassungen (von denen zwei auf dieser CD zu hören sind),
bei Freudvoll und leidvoll hat er zwei ganz unterschiedliche Varianten
geschaffen und beide überarbeitet. Die Vertonungen von Es war ein König in
Thule und Die Loreley erklingen hier in der jeweils zweiten Fassung. Das
Klavier spielt „die erste Geige“
Ich denke, man tut Liszt nicht
Unrecht, wenn man unterstellt, dass die menschliche Stimme nicht sein
eigentliches Medium war. Das Klavier spielt bei den Liedern deshalb nie eine
begleitende, sondern in der Regel eine ebenbürtige Rolle, in seinen früheren
Versuchen zur Gattung drängt es sich sogar oft in den Vordergrund. Von
einigen Liedern hat er auch reine Klavierfassungen erstellt, die sich im
Konzertsaal mehr durchgesetzt haben als die gesungenen Versionen. Eine
schöne Balance findet er in Nikolaus Lenaus Die drei Zigeuner (1860), wo der
Klavierpart vom Geist der ungarischen Rhapsodien geprägt ist. Helmut Deutsch
geriert sich in allen Fällen nicht als Tastenlöwe, sondern überzeugt durch
ruhige Souveränität und poetisches Fingerspitzengefühl. Im Dienst der
Dichtung
Zum Lob des Sängers ist festzuhalten, dass er die
überwiegend hochkarätigen Dichtungen zu ihrem Recht kommen lässt. Seine
Diktion ist vorbildlich und der Vortrag imaginativ. Kaufmann vermittelt
überzeugend die gesungenen Inhalte. Die rein vokale Umsetzung ruft bei mir
dagegen zwiespältige Gefühle hervor, denn mehr als beim letzten Album
(„Selige Stunde“) überlagert der Heldentenor den Lied-Interpreten oft allzu
sehr. Inzwischen bei Rollen wie Otello und Tristan angelangt, muß sich der
Sänger intimere Töne oft geradezu abnötigen, da die Stimme nicht mehr die
frühere Flexibilität besitzt. Mezza-voce-Passagen klingen manchmal wie
markiert. Und die bei Liszt häufig bemühten Aufschwünge als Mittel starker
Emotion bekommen oft etwas Gewichtheberhaftes.
Die drei
Petrarca-Sonette, die Kaufmann schon früher im Repertoire hatte, verlangen
im Grunde einen Belcanto-Tenor (ich habe zum Vergleich Luciano Pavarotti und
Lawrence Brownlee gehört), Kaufmann ist durch und durch Verismo-Sänger, der
den dramatischen Ausdruck über alles stellt. Schon im kurzen Entree mit
Heines Vergiftet sind meine Lieder wird die Richtung vorgegeben. Und die
führt hier oft – etwa am Ende des Liedes Ich möchte hingehen – zu einem
Schmerzenston à la Florestan. Andererseits bemüht sich der Sänger in
„Schlagern“ wie Es muß ein Wunderbares sein und O lieb, so lang du lieben
kannst (bekannter in der Klavierversion als Liebestraum Nr. 3) um eine
liedhafte Einfachheit, die aber in die Nähe des Operettenhaften gerät.
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