Online Merker, 05.10.2022
Dr. Ingobert Waltenberger
 
Reifezeit – heldische Töne eines starken Duos!
Im Jänner 2010 war es, da sind Jonas Kaufmann und Ludovic Tézier zum ersten Mal gemeinsam auf der Bühne gestanden. Es war die Premiere von Massenets „Werther“ an der Opéra National de Bastille. Ich war in der Premiere dieser szenisch, ästhetisch und musikalisch so unvergesslich poetischen Produktion (Regie: Benoit Jacquot; Dirigent: Michel Plasson). Es war das Rollendebüt von Jonas Kaufmann an der Seite der Charlotte von Sophie Koch. Anne-Catherine Gillet glänzten als Sophie und Ludovic Tézier als Albert. Bei DECCA ist ein empfehlenswerter Filmmitschnitt als DVD/Blu-ray erschienen.

Etwas mehr als 11 Jahre später trafen die beiden vom lyrisch-romantisch französischen Fach zum heldisch italienischen Fach gereiften Sänger in Rom, genauer im Auditorium Parco della Musica, auf das Orchestra dell‘Accademia Nazionale di Santa Cecilia unter der musikalischen Leitung von Antonio Pappano, um dramatische Duette von Giuseppe Verdi und Amilcare Ponchielli aufzunehmen. Eine gelungene, aber ein wenig nostalgische Reminiszenz an ihre Anfänge bildet das erste Duett des Albums aus dem vierten Akt von Puccinis „La Bohème“ zwischen Marcello und Rodolfo.

Vielleicht eine Kostprobe auf Kommendes? Das Duett des Barnaba und Enzo Grimaldi aus dem ersten Akt von Amilcare Ponchiellis Oper „La Gioconda“: Hier prallen zwei ziemlich beste Feinde aufeinander in einem Liebesverwirrspiel, in dem sich die Titelheldin am Ende ersticht, um nicht dem brutalen Barnaba in die Hände zu fallen.

Der gewichtigste Teil der CD ist den großen Duetten aus den Verdi-Opern „Les Vêpres siciliennes“, „Don Carlos“ (Kaufmann Salzburger Festspiele 2013; erhältlich auf DVD/Blu-ray), „La forza del destino“ (Kaufmann/Tezier München Dezember 2013; erhältlich auf DVD, Blu-ray) und „Otello“ (Royal Opera House Covent Garden 2017, Studio 2019) gewidmet. Letztere drei Opern hat Jonas Kaufmann bereits mehrfach auf der Bühne bzw. Otello auch im Studio gesungen. Er muss sich hier daher an seinen eigenen Leistungen messen lassen. Kaufmanns Stimme ist noch baritonaler geworden, die Forte-Höhen gleißen stählern und beeindrucken durch Kraft und Stamina. Was Geschmeidigkeit, Leichtgängigkeit, Decrescendi, die fließende Bewältigung der Übergänge anlangt, so bleiben Kaufmanns Aufnahmen von „Don Carlos“ und „La forza del destino“ aus dem Jahr 2013 sein persönliches Non plus Ultra. Allerdings ist das Duett aus „Otello“ auf der neuen CD dem Studiomitschnitt an stimmlicher Urgewalt der Kontrahenten weit überlegen. Nicht zuletzt auch, weil Ludovic Tézier als Jago (Rollendebüt an der Wiener Staatsoper 2021 an der Seite von Gregory Kunde als Otello) ohne stimmliche Limits derzeit wohl der beste Rollenvertreter weltweit sein dürfte.

Raritätensammler als auch Fans der beiden stimmgewaltigen Stars dürften eine große Freude mit den beiden spannenden Duetten aus Verdis Oper „Les Vêpres siciliennes“ (erster und dritter Akt) in der französischen Originalfassung haben.

Ein hoher Reiz der CD besteht darin, dass die beiden Künstler offenbar musikalisch und auch menschlich auf einer Wellenlänge agieren. Die Aufnahmen sind atmosphärisch dermaßen dicht und voll packender Bühnenluft, dass es sich auch um Live-Mitschnitte handeln könnte.

Ludovic Tézier ist auf dem Zenit seines Könnens. Sein kerniger, dunkel timbrierter Heldenbariton fließt in allen Lagen samten üppig und ausgeglichen. Die luxuriöse Stimme spricht mit großer Leichtigkeit an, dynamisch kann er die zartesten Pianissimi und ereignishafte Fortissimi in den Dienst einer wahrhaftigen Interpretation der Figuren stellen. Jonas Kaufmann kann im direkten Vergleich nicht (mehr) auf dieselbe Selbstverständlichkeit und spielerisch funktionierende Tonproduktion zurückgreifen. Dafür legt er – ohne sich im Mindesten zu schonen – drauf los, als gäbe es kein Morgen mehr. Kaufmann vermag im harmonischen Miteinander (Don Carlos, Posa) bzw. den knallharten Auseinandersetzungen mit seinem Bariton-Kontrahenten faszinierend charaktervolle Rollenporträts formen.

Der berühmte Traditions-Klangkörper aus Rom und der alle Dramatik der eingespielten Szenen auskostende großartige Operndirigent Antonio Pappano sorgen für allerhöchstes Orchester-Niveau. Die Tonqualität ist erstklassig, die Stimmen scheinen sehr natürlich eingefangen.






 
 
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