Opernglas 7/8, 2016
Th. Baltensweiler
 
Fidelio
Die Salzburger Produktion von Beethovens »Fidelio« wurde bei ihrer Premiere letzten Sommer kontrovers diskutiert. Mit einigem Recht: Man kann gegen Claus Guths Regie einwenden, dass sie sich einmal mehr des Kniffs bedient, Personen mit einem Double auszustatten, dass die Dialoge gestrichen und durch Geräusche ersetzt wurden, die höchstens assoziativen Sinn machen, und dass das Bühnenbild (Christian Schmidt) einen gestylten leergeräumten Salon zeigt, wie man ihn schon oft gesehen. Jenseits solcher Äußerlichkeiten sollte indes die Frage nach der Angemessenheit der Konzeption und ihrer handwerklichen Qualität im Zentrum der Betrachtung stehen.

Und in dieser Hinsicht hat der »Fidelio« Claus Guths viel zu bieten! Unmittelbar springt ins Auge, mit welcher Intensität die Personen geführt werden, mit welcher Konzentration die Protagonisten bei der Sache sind. Wie Schachfiguren bewegen sie sich auf einem aus quadratischen Feldern bestehenden Parkettboden, nähern sich an, umkreisen einander—tauchen unvermittelt auf und verschwinden wieder hinter einem schwarzen Quader, der schweben und sich drehen kann. Hier geht es nicht um Realismus, sondern um Psychologie — das mag bei »Fidelio« zunächst kaum als naheliegender Ansatz erscheinen, feit aber die Aufführung gegen die Gefahr, dass das hohe Pathos der Gattenliebe in die Niederungen des Abgeschmackten abrutscht. Der Regisseur tut noch mehr, um solches zu verhindern, indem er darauf verzichtet, den jubelnden Chor am Schluss zu zeigen.

Die Geräusche zwischen den einzelnen Nummern bewirken, dass die in diesen Momenten stummen Figuren gleichsam auf sich selber zurückgeworfen sind und so als Gefangene ihrer selbst erscheinen, besonders diejenigen, die ein Double an ihrer Seite haben: Leonore und Pizarro. Der befreite Florestan dagegen entzieht sich am Ende dem „Gefängnis", das vielleicht nur in seinem Kopf existiert, durch seinen Zusammenbruch. Das ist nun eben doch eine durchaus originelle Herangehensweise an das Werk, auch wenn manches anfangs bloß zitathaft daherkommen mochte.

Nicht zuletzt hat dieser »Fidelio« in Jonas Kaufmann einen Protagonisten, der der Aufführung einen besonderen Rang verleiht. Er gibt den Florestan mit einem dunkel getönten Tenor von biegsamem metallischen Glanz — wunderbar, wie er den Ausruf „Gott!" dynamisch anschwellen lässt. Verinnerlicht gestaltet er dann „In des Lebens Frühlingstagen", jugendlich-dramatisch wiederum den Schlussteil der Arie oder „O namenlose Freude". Adrianne Pieczonka steht ihm in der Beseeltheit des Vortrags nicht nach, und der Jubelton, den ihr helles, strahlkräftiges, lyrisch grundiertes Timbre wie von selbst vermittelt, kontrastiert sinnfällig mit dem zuweilen verschattet-melancholischen Klang Kaufmanns. Allerdings bereiten Pieczonka einige Höhen unverkennbar Mühe, sodass noch nicht ganz von einem idealen Porträt gesprochen werden kann. Tomasz Konieczny als Pizar-
ro und Hans-Peter König als Rocco sind stimmlich aus etwas gröberem Holz geschnitzt, während Olga Bezsmertna eine Marzelline
fernab von vokalem Soubretten-Habitus verkörpert— mitwarmem, leuchtkräftigem lyrischen Sopran. Der Wiener Staatsopernchor findet, auch wo er unsichtbar bleibt, eindrückliche stimmliche Präsenz.

Die Wiener Philharmoniker warten mit Wohlklang vom Feinsten auf. Allerdings dauert es eine Weile, bis sie von ihrem Dirigenten Franz Welser-Möst so richtig befeuert werden. Doch spätestens im Verlauf des zweiten Akts bringt er richtig Zug in das Geschehen, sodass man gebannt die dritte „Leonoren"-Ouvertüre beim Szenenwechsel im zweiten Akt hört.






 
 
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