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Codex Flores, 16.01.2015 |
(wb) |
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Jonas Kaufmann: The Berlin Album |
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Schrittweise
hat sich Deutschland die populäre Musik der Zwischenkriegszeit
wieder angeeignet. Zuvor schienen die Skrupel, befördert vom
Verdikt Adornos, dass mutmasslich konfektionierte Expressivität
‒ kristallisiert im verminderten Akkord ‒ nicht nur verbraucht,
sondern falsch klinge. Die Hemmungen, angesichts der späteren
dunkeln Zeit deutscher Geschichte der Frivolität zu huldigen,
die dieser im Land auch vorangegangen war, schienen zu stark.
Weiter lebte die Zeit der halbseiden-glamourösen Operette
Kalmans und Lehars und des Tenorschmelzes eines Richard Tauber
bloss noch in den Radiowunschkonzerten in den plüschig-fetten
und harmlosen Versionen Annelise Rothenbergs und René Kollos.
Zuerst schien Max Raabe mit seinem Palast Orchester zu
spüren, dass die Zeit gekommen war, einer Musikkultur zu
huldigen, die intelligent, frech, lebenslustig, ja auch
anarchistisch und frivol war und eine eigene negative Ästhetik
pflegte. Mittlerweile hat das Revival den Mainstream erreicht.
Piotr Beczala hat Richard Tauber mit dem Album «Mein ganzes
Herz» ein Denkmal gesetzt. Kaufmann huldigt dem Zeitgeist nun
mit dem Album «Du bist die Welt für mich». Die Lieder, auf die
referiert wird, scheinen ein Paradoxon zu bestätigen: Je
wohlanständiger das Bürgertum sich in der Zeit gebärdete, umso
schwärzer und pessimistischer waren die Texte der
«geschmackvollen» Liederabende, denen es wohlgesittet beiwohnte;
je derber und gewalttätiger das Milieu, in dem sich die
«populäre» Kunst produzierte, umso
zuversichtlich-verführerischer und warmherziger waren die Texte,
zu den das Publikum keineswegs gesittet beischlief.
Kaufmann ist als Richard-Tauber- und Joseph-Schmidt-Erbe
unübertrefflich. Ein Ereignis auf der CD ist aber auch das von
Jochen Rieder geleitete Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin, das
sich die nötige Kompetenz dank intensiver Auseinandersetzung mit
der Filmmusik der Weimarer Republik erworben hat (so steht es
zumindest im Booklet). Eingegrenzt worden ist die Liederwahl auf
die Zeit zwischen 1925 und 1935, mit Nummern von unter anderen
Lehar, Tauber, Robert Stolz, Kalman, Hans May, Paul Abraham,
Ralph Benatzky und Erich Wolfgang Korngold. Aufgenommen worden
ist das Album im nicht minder bemerkenswerten ehemaligen Sitz
des Rundfunks der DDR in der Berliner Nalepstrasse, das aber
wäre ein andere Geschichte.
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