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Der Neue Merker |
Dr. Ingobert Waltenberger |
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CAVALLERIA RUSTICANA/ PAGLIACCI – Jonas Kaufmann; Christian Thielemann
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Problematische Cavalleria,
umwerfend intensiver Bajazzo |
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Die
szenische Neuproduktion der Salzburger Osterfestspiele 2015 in der Regie des
Philipp Stölzl war dem berühmten veristischen Opernzwilling von Mascagni und
Leoncavalli gewidmet. Altmeister Brian Large führte gekonnt und routiniert
Videoregie in vielfach komplexen, übereinander gelagerten Bildern. Eine
sechsteilige Bühne zu ebener Erde und im ersten Stock erinnert an ein
Puppenhaus und könnte aufgrund der grafisch inspirierten Bühnenbilder einer
Art Comic-Strip-Ästhetik entlehnt sein. Es handelt sich um einen primär den
Möglichkeiten des Theaters verhafteten Entwurf, der filmisch vor allem in
der Cavalleria (schwarz-weiß gestreifte Kulissen von Häusern, Kirche,
Schornsteinen und Wänden) nicht viel hergibt. Bilder öffnen und schließen
sich ständig, zusätzlich werden Ausschnitte filmisch vergrößert projiziert.
Spannend wird es, wenn in Großaufnahmen die Gesichter der Protagonisten
archaischen Landschaften gleich ihr Innerstes preisgeben. Statisch und
behäbig gehen Stölzl und Thielemann die Cavalleria an. Diese knallige
veristische Geschichte um Ehebruch und Ehrenduell sollte wohl auf ein
psychoanalytisches Kammerspiel verkleinert werden. Verstörte Gesichter der
Santuzza und des Turridu prägen den optischen Eindruck. Ein Chor aus
geleckten, zerrauften und freakigen Nerds, der eher dem Montmartre der 20-er
Jahre in Paris entsprungen scheint als einem sizilianischem Dorf anstünde,
tummelt sich allerlei Fratzen schneidend durchs Geschehen. Die Geschichte
wird von Stölzl insoweit nicht ganz schlüssig abgewandelt, als Santuzza
nicht ein (uneheliches) Kind von Turridu erwartet, sondern die beiden
bereits einen Buben haben, der als Ministrant in der Kirche seinen Dienst
versieht und auch sonst seinen Vater liebt. Sein anklagender Blick auf die
Mutter, die den Vater verraten und damit den Tod Turridus bewirkt hat,
bleibt lange in Erinnerung.
Das was mich an der Regie befremdet, dass
Bilder ersetzen sollen, was an Dramaturgie fehlt. Es ist sicherlich die
elegischste Cavalleria rusticana, die ich je gehört habe. Christian
Thielemann scheint sich bei diesem Werk nicht ganz wohl zu fühlen, vieles
klingt eckig und der melodische Bogen wird manchmal mit rhythmischer Härte
zerteilt. In die Annalen der Musikgeschichte wird Thielemann als Dirigent
des Verismo jedenfalls nicht eingehen. Unverständlich, dass er Liudmyla
Monastyrska als Santuzza dazu anhält, einen Großteil der Partie mezza voce
zu singen. Diese im schweren Zwischenfach allerorts exzellierende
ukrainische Sopranistin klingt durch das permanente „Bremsen“ ihrer
stimmlichen Mittel als Santuzza seltsam stumpf und glanzlos. Natürlich
gelingen ihr die Racheausbrüche und das hohe C am Schluss „wie am Schnürl“,
eine schlüssige Figur aus Fleisch und Blut formt sich allerdings nicht. Auch
Ambrogio Maestri als gehörnter Alfio ist stimmlich nur bedingt
rollendeckend. Als körperlich mächtige Figur präsent und bedrohlich,
schleift er die Höhen über Gebühr an und tremoliert für meinen Geschmack zu
viel. Jonas Kaufmann gibt als Turridu ein Rollendebüt wie aus dem
Bilderbuch. Dieser wandlungsfähige Künstler scheint im französischen Fach
und im Verismo ganz zu Hause zu sein. Während Santuzza vor der Kirche ihr
Gebet singt, lehnt er sich nach vollzogenem Akt mit Lola genüsslich aus dem
Mansardenfenster, eine Zigarette im Mund. Rein stimmlich ist Kaufmann nach
zaghaftem Beginn ganz auf der Höhe seiner Möglichkeiten. Trinklied, das
Duett mit Santuzza und die unter die Haut gehende Arie „Mamma, quel vino e
generoso“ sind die vokalen Höhepunkte der Aufführung. Die Weißglut der
Musik, die triebhafte Brutalität des Geschehens und das existenzielle Drama
werden in dieser Aufführung nur durch Jonas Kaufmann erfahrbar. Annalisa
Stroppa singt eine Lola „comme il faut“, blendend aussehend und einmal
gottlob nicht als „Carmen-Verschnitt“. Für eine positive Überraschung sorgt
die großartige Stefania Toczyska als Mutter Lucia, als moralische Instanz
mit Hornbrille wie bei einer strengen Lehrerin oder Buchhalterin das
Schicksal ihres Sohnes erwartend. Der Salzburger Bachchor und der Sächsische
Staatsopernchor bieten wie auch im Bajazzo eine untadelige Leistung,
klangschön und stilistisch makellos.
Anders verhält es sich mit dem
Bajazzo. Die sechsteilige Bühnenästhetik und der freakig gewandete Chor
bleiben als Konstanten, allerdings darf Farbe mit ins Spiel. Die Bildregie
ist weniger fragmentiert und als Geschichte fokussierter erzählt. Die
Aufführung entfaltet auch musikalisch und von der fabelhaften Staatskapelle
Dresden unter einem dramatisch die Zügel straffer führenden Christian
Thielemann her einen starken Sog. Jonas Kaufmann als Canio ist in dem
Regiekonzept ein dem Alkohol ergebener trister Geselle mit spanischem
Spitzbart. Ein Spinnennetz am Hals und allerlei andere Tattoos an den Armen
weisen ihn als entweder zeitgeistig flotten Bohemien oder historischen
Bösewicht aus. Eigentlich ist dieser Canio aber ein verlorener Typ, der dem
intriganten zurückgewiesenen Tonio (hervorragend mit kerniger Jago-Stimme
Dimitri Platanias) auf den Leim geht und wie ferngesteuert dem tragischen
Abgrund zusteuert. Vokal schließt er an ganz große Vorbilder wie Jon Vickers
an. Das „Vesti la giubba“ und finale Duett mit Nedda bieten einzigartige
Momente ganz großer Oper, berührend und erschütternd zugleich. Wenn man bei
diesem Eifersuchtsdrama einen Zusammenhang zu Verdis Otello sehen möchte,
dann darf man sich schon auf sein Rollendebüt 2017 in London freuen. Ihm zur
Seite ist die in jeder Hinsicht fantastische Maria Agresta als
Vollblut-Nedda zu nennen. Welch „runde“ Figur erschafft diese Künstlerin,
die stimmlich von der liebenden Frau bis zur tragischen Komödiantin alles
drauf hat und mich vom Typ her ein wenig an Sena Jurinac erinnert. Man kann
die Anziehung und Leidenschaft gut nachvollziehen, die der fesche und kernig
singende Silvio des Alessio Arduini für sie empfindet. Der quirlige und
sympathische Tansel Akzeybekaus der Komischen Oper Berlin als Beppe rundet
ein exzellentes Ensemble ab. Bei dieser Aufführung ist Gänsehaut garantiert.
Alleine wie Jonas Kaufmann sich in der Garderobe weiß schminkt und den Mund
mit rotem Lippenstift zu einer Joker Fratze verzerrt, ist ein
unvergesslicher Augenblick. Dabei scheint mit dem Schminken die Maske
abzufallen und Canio zu dem zu werden, der er wirklich ist. Ab da hört sich
nämlich der Spass auf….„La commedia è finita“.
P.S.: Die Karriere von
Jonas Kaufmann dürfte nach und nach zu der am besten dokumentierten der
gesamten Tonträgergeschichte zählen, in der Mehrzahl aus sehr guten
live-Mitschnitten bestehend. Ein wenig schade, dass die lange Tradition der
sorgfältig erarbeiteten Studioproduktionen zu Ende gegangen sein dürfte.
Schön wäre es, wenn es nach der tollen Aida auch hier noch einige
Überraschungen gäbe.
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