Opernglas, Januar 2015
M. Wilks
 
Carmen, Zürich
"Carmen" aus Zürich bei Decca
 
Nun ist sie also doch noch auf DVD erschienen, die »Carmen« mit Vesselina Kasarova und Jonas Kaufmann. Da das Label Decca im Jahr 2008 bereits eine Londoner »Carmen« mit dem beliebten Tenor veröffentlicht hatte, durfte man nicht davon ausgehen, dass die ebenfalls 2008 mitgeschnittene und bisher nur im TV gezeigte Zürcher Neuproduktion auf einem offiziellen Tonträger erscheinen würde. Um das Ergebnis vorwegzunehmen: Beide Protagonisten rechtfertigen diese Entscheidung, wobei die nie gegen die Musik gehende Inszenierung von Matthias Hartmann dennoch bei vielen Zuschauern Kopfschütteln wegen etlicher Klischees und Übertreibungen verursachen dürfte. Hartmann, Bühnenbildner Volker Hintermeier und Kostümbildnerin Su Bühler haben quasi eine Patchwork-»Carmen« entwickelt, die ein Sammelsurium an Details und Einfällen bietet. Einerseits wird Folklore vermieden, andererseits erinnern bestimmte Kostüme, der Stierschädel und ein großer Olivenbaum an den mediterranen Spielort und die entsprechende Atmosphäre. Auch der Umgang mit den erotischen Momenten dieser Oper erfolgt unterschiedlich: mal symbolisch (die Zigarren der Arbeiterinnen), dann voller Vorurteile (die Männer reißen Micala die Kleider vom Leibe), schließlich unkonventionell (Carmen als starke, nicht angepasste und dadurch attraktive Frau). Die Kostüme sind keiner konkreten Zeit zugeordnet, sondern deuten auf verschiedene Abschnitte von den 1950er-Jahren bis heute hin. Gespielt wird vor abstrakten Wänden auf einer aus manchen »Ring«-Inszenierungen bekannten Scheibe, eine Projektion des riesigen Vollmonds und der Olivenbaum verfehlen ihre Wirkung nicht.

Eingangs wurde auf Übertreibungen und Klischees hingewiesen. So ist Don José im ersten Akt ein Volltrottel erster Güte, der schon beim Anblick einer Frau Hemmungen bekommt. Diese Charakterisierung passt so gar nicht zum Timbre von Jonas Kaufmanns frischem, baritonal klingendem Tenor und zur weiteren Entwicklung: Bereits im zweiten Akt hat dieser Don José, warum auch immer, eine Wandlung zum attraktiven, verhaltensunauffälligen Mann durchgemacht. Etliche kleinere Einfälle wirken unnötig, etwa wenn sich die Soldaten synchron am Kinn kratzen oder betont jugendliche Gesten der Schmuggler, während man ansonsten oft kollektiv herumsteht. Die Inszenierung lebt von den Persönlichkeiten der Sänger. Beispielsweise zieht Isabel Rey (Micaela) — trotz biederer Kostümierung — in ihrer Arie im dritten Akt die Aufmerksamkeit auf sich, ihr Sopran blüht schön auf. Michele Pertusi ist ein starker Escamillo, weil er die Tücken der Partie meistert und den Stierkämpfer auch mit Charme und Pianokultur und nicht nur mit vokalem Draufgängertum charakterisiert. Sehr gut besetzt sind die Zigeuner mit Sen Guo (Frasquita), Judith Schmidt (Mercédes), Gabriel Bermüdez (Le Dancaire) und Javier Camarena (Le Remendado) sowie Morales mit dem „französisch leicht" singenden Kresimir Strazanac.

Jonas Kaufmann überzeugt uneingeschränkt als Don José, da er seine Stärken ausgewogen einbringen kann: Die „Blumenarie" verziert er mit innigen Pianoklängen, im tragischen Finale gibt er stimmlich Vollgas; sein Spiel istwiederum engagiert und glaubwürdig. Vesselina Kasarova überzeugte bereits in dieser, ihrer ersten »Carmen«- Inszenierung, da sie ihren so wohlklingenden Mezzo individuell einzusetzen versteht und subtil gestaltet, indem sie unter anderem die hohen Noten mitwenigVibrato ansteuert und so manches Legato mit kunstvollen Intervallsprüngen unterbricht. Erwartungsgemäß legt sie Wert auf kultivierten Gesang, ohne die dramatische Attacke zu vernachlässigen.In seiner letzten Produktion als Züricher GMD hatte Franz Welser-Möst noch einmal für ein akkurates, tadelloses Spiel des Opernorchesters gesorgt, das hörbar auf die Belange der Sänger eingeht. Zwar könnte man sich manchmal einen weniger „kapellmeisterlichen" Zugriff wünschen, doch in einigen Momenten wie der langsam genommenen „Blumenarie" gelingen dem Orchester Momente höchsten Klanggenusses.









 
 
  www.jkaufmann.info back top