Opernglas, Oktober 2012
M. Lehnert
 
Carmen
 
Endlich wird wieder Oper im Studio produziert. Da durfte nichts zu gut und zu teuer sein für die EMI, weshalb die Wahl einer neuen »Carmen« mit den Berliner Philharmonikern unter der musikalischen Leitung ihres Chefs Simon Rattle gerade recht schien. Allerdings auch mit seiner Ehefrau. Magdalena Kozena legt die frivole Zigeunerin chansonhaft an mit diversen rhythmischen Freiheiten oder Eigenarten. Stimmlich schwankt ihre kunstvolle Tongebung zwischen Laszivität und Larmoyanz. Das ist nicht ohne Reiz und fügt den unzähligen Interpretationen auf CD und DVD eine wirkliche Alternative hinzu. Der Ehemann unterstützt nach Kräften vom Pult her und gibt sich betont elastisch, um der stimmlichen Gestaltung jene Atemfreiheit zu gewähren, die benötigt wird. Ansonsten ist orchestrale Rasanz und Brillanz angesagt. Das Orchester schmettert gekonnt und über viele Stecken sogar atemberaubend zackig mit aufflirrendem Geigenglanz im Presto des Eingangschores (Deutsche Staatsoper) zum vierten Akt.

Glücklicherweise kommen die beiden Rivalen um Carmens Gunst dabei nicht außer Atem. Ein Beispiel: das Duett Escamillo/ Don José im Schmugglerakt. Hier kann Kostas Smoriginas Bariton tempomäßig dem biegsamen und flexiblen Tenor von Jonas Kaufmann gut Paroli bieten. Sein Escamillo kennt keine Höhen- und Tiefenprobleme, allenfalls ab und an ist ein wenig zu viel Vibrato zu hören. Kaufmann hingegen ist der eigentliche/heimliche Star auch dieser Produktion. Der Don José liegt ihm, da er sein üppig timbriertes Stimmmaterial nicht forcieren muss, sondern mit viel Geschick und bezaubernden Kunststücken (Diminuendi) klangschön und - weitaus wichtiger - vollkommen unmanieriert singt. Ein echter Kerl und - mit unverwechselbarer und wohldosierter Träne im Klang - auch ein echter Tenor, der unmittelbar berührt und begeistert. Diesem Effekt kommt Genia Kühmeier mit ihrer Micaela am nächsten. Der sich hoch schraubende Sopran entwickelt immer metallisch leuchtende und dabei sehr individuelle Farbe und Kraft, obwohl nichts forciert klingt. Auch diese Emotionalität des gesanglichen Ausdrucks ist vollkommen authentisch. Ein Sopran mit Zukunft. Obwohl es auch in der restlichen Besetzung kaum Ausfälle gibt, möchte man sich vor allem von der geballten Orchesterkultur der Berliner wieder mehr Aufnahmen wünschen. Im Opernrepertoire befindet sich sicher noch die eine oder andere (vielleicht) Strauss-Oper, die sich lohnen würde, um als Katalogvervollständigung mit einer solchen Klangvergoldung bedacht zu werden. Das würde die Diskographie stärker bereichern als eine »Carmen« ohne zwingende Titelbesetzung.




 
 






 
 
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