Westfälische Nachrichten, 03.09.2012
Lukas Speckmann
 
Eiskalte Leidenschaft
 
Simon Rattle dirigiert zum ersten Mal in seinem Künstlerleben Bizets „Carmen“. Das müsste doch ein Selbstläufer sein...  Doch nein, die Premiere in Salzburg war kein großer Erfolg. Jetzt ist die CD erschienen. Und die ist gut.

Ein bisschen Tratsch gefällig? Also: Eine Sängerin will eine Hauptrolle singen. Es ist eigentlich nicht ihr Fach, aber sie ist die Ehefrau vom Chef. Also kriegt sie die Rolle – und fällt durch. Presse und Publikum zerreißen sich anschließend die Mäuler, wie weit die Liebe unter Künstlern gehen darf...

Wirklich passiert. Im April in Salzburg. Magdalena Kozena sang die Carmen, ihr Ehemann Simon Rattle dirigierte zum letzten Mal bei den Osterfestspielen die Berliner Philharmoniker. Von krasser Fehlbesetzung war anschließend die Rede, und dass die Berliner auch nicht immer so sauber sind...

Häme? Auf den Gedanken könnte kommen, wer jetzt die brandneue Aufnahme dieser Produktion hört, einen Mitschnitt aus der Berliner Philharmonie. Diese Carmen ist nicht typisch, aber sie ist gut. Magdalena Kozena singt ihre Rolle etwas zurückhaltend, aber rasiermesserscharf. Das ist vielleicht nicht die Stimme einer glutheißen Primadonna, aber als eiskalter CD-Vamp kann sie locker durchgehen. Jonas Kaufmann hält ihr als Don José einen bisweilen etwas weinerlichen, aber immer noch mannhaften Tenorschmelz entgegen. Fein klingt Genia Kühmeier als Micaela, der Escamillo ist nicht so berauschend.

Die Berliner Philharmoniker sind es schon. Simon Rattle dirigiert die für ihn neue Partitur mit stählernem Schneid, wobei ihm die zahlreichen und unerwartet leisen Zwischentöne mehr liegen als das große Rumtata.

Georges Bizet: Carmen.Magdalena Kozena, Jonas Kaufmann Genia Kühmeier, Kostas Smoriginas, Chor der Deutschen Staatsoper, Berliner Philharmoniker, Sir Simon Rattle, 2 CD EMI




 
 






 
 
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