Opernglas, Dezember 2008
M. Wilks
 
 
Carmen
Eine im Dezember 2006 im Londoner Royal Opera House Covent Garden mitgeschnittene »Carmen« dokumentiert auf DVD eine Aufführungsserie, die man sehr gern live gesehen hätte. Oper zum Genießen mit einem hinreißenden Don José, einem optisch ideal besetzten Ensemble, einer überzeugenden Regie und einem hervorragenden Orchester. Der international immer stärker gefragte Jonas Kaufmann war zum Zeitpunkt der Londoner »Carmen« perfekt disponiert und vielleicht auf dem Zenit seiner sängerischen Potenz. Er sang mit vollem Risiko und aufregender Intensität, und selbst wenn er den Don José eher dramatisch anlegt und seinen baritonalen Tenor selten schont, gönnt er sich die Ruhe für subtil gestaltete Momente und gesangstechnische Meisterstücke — beispielsweise beim wirkungsvollen Decrescendo-Aufstieg gegen Ende der Blumenarie oder im Duett mit Micaela. Auch szenisch ist Kaufmann ein Glücksfall. Er spielt Don Josés Entwicklung glaubhaft und porträtiert gegen Ende der Oper gerade in den leisen Momenten einen seelisch zerstörten Menschen, der nicht nur verzweifelt ist, sondern zudem mittels der Stimme Tränen formt. Ob sein Zwischenfachtenor im Zuge einer Weltkarriere weiterhin so frisch und uberzeugend klingen kann wie in dieser »Carmen«, bleibt abzuwarten.

Anna Caterina Antonacci spielt ähnlich impulsiv und sehenswert. Obwohl ihr Dekolletee maximal viel Haut zeigt, porträtiert sie die Carmen nicht eindimensional als Lustobjekt, sondern variiert in der szenischen Darstellung und blickt immer wieder tief in ihr Wesen. Gesanglich gelingt ihr eine passable Leistung; gewisse Schwächen in der Tiefe und der Versuch, ihren eher lyrischen Mezzo dramatisch klingen zu lassen, sind nicht zu überhören, sind in diesem Rahmen aber eher als sekundär einzustufen.

Ildebrando D’Arcangelo verkörpert einen Escamillo wie aus dem Bilderbuch, die unbequem zu singende Partie meistert er achtbar. Norah Amsellem (Micaela) verfügt in der Höhe über schöne Pianotöne, doch das exzessive Vibrato nimmt der Figur einiges an Sympathie. Überwiegend sehr gut besetzt sind das übrige Ensemble und der engagiert singende Royal Opera Chorus.

Dass sich Musikdirektor Antonio Pappano persönlich um die »Carmen« bemüht, dokumentiert die Sorgfalt, mit der das Opernhaus diese Produktion realisiert hat. ,,Sein” Orchester klingt spritzig, federnd, häufig zupackend und inmer prachtvoll. Francesca Zambello (Regie) und Tanya McCallin (Ausstattung) erfüllen in ihrer Inszenierung den Wunsch nach farbprächtigen Kostümen, folkloristischen Elementen und Bühnenspektakel (ein echtes Pferd ist mit dabei), ohne dabei in eine nur dekorative Bildersprache abzugleiten. Abstraktion und Konzentration auf das Drama erreicht das Regieteam durch ein einheitliches, im Laufe der Oper variiertes und mit etlichen Requisiten ausgefülltes Bühnenbild aus roten Wänden, durch viele Genrebilder und eine ausgefeilte Personenregie. Beispielsweise erblickt man im ersten Akt ein Kaleidoskop an Lebensformen, von der freizügigen Zigeunerin bis zur schwarzverhüllten Alten. Nicht zuletzt die kluge Kameraführung (Messerkämpfe!) trägt zu dem so positiven Gesamteindruck bei.
Leserbrief hierzu, veröffentlich im März 2009
CARMEN-DVD VOM ROYAL OPERA HOUSE
Ich habe Ihre »Carmen«-Kritik im „Opernglas“ gelesen und kann mir doch einen Kommentar nicht verkneifen. Wenn ich zitieren darf:
„...Jonas Kaufmann war zum Zeitpunkt der Londoner»Carmen« perfekt disponiert und vielleicht auf dem Zenit seiner sängerischen Potenz.... Ob ein Zwischenfachtenor im Zuge einer Weltkarriere weiterhin so frisch und überzeugend klingen kann wie in dieser »Carmen«, bleibt abzuwarten.“
Ich möchte daraufhinweisen,dass diese »Carmen«-Aufnahme schon fast zwei Jahre her ist und Herr Kaufmann seitdem weitere Auftritte absolviert hat, unter anderem auch erneut als Don José in Zürich. Natürlich kann ich Ihre Skepsis auf Grund der vorhandenen gescheiterten Sängerexistenzen verstehen, und eine Garantie für die richtige Rollenwahl kann nicht einmal der Sänger selber geben, aber mich irritieren Ihre Aussagen in dem zeitlichen Zusammenhang, haben Sie die letzten zwei Jahre übersehen/ überhört? Nach meiner Meinung geben diese unnötigen „Unkenrufe“ Ihrer Kritik einen negativen Beigeschmack, von dem ich hoffe, dass Sie ihn nicht beabsichtigt haben.
Heike Ritter, via e-mail
 






 
 
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