Klassik.com, 2. April 2009
Kritik von Miquel Cabruja
32 Jahre gewartet
 
Lang ist es her, dass eine überzeugende 'Butterfly' auf dem Plattenmarkt erschienen ist. Seit Sony 1977 Puccinis japanische Tragödie mit Renata Scotto (Cio-Cio-San) und Plácido Domingo (Pinkerton) unter Lorin Maazel herausbrachte, hat sich kein Label mehr an eine Gesamtaufnahme mit Sängern von Format getraut.

Zu Puccinis 100. Geburtstag holt EMI das Versäumnis nach. In den Hauptrollen glänzen Angela Gheorghiu und Jonas Kaufmann. Ein Traumpaar, das gleich doppelt Neuland betritt: Die rumänische Operndiva hat Cio-Cio-San nie auf der Bühne gesungen, der deutsche Tenor debütiert als Pinkerton erstmals auf CD in einer Rolle.

Distanz zur Rolle

Angela Gheorghiu beweist als Butterfly erneut, dass ihre Stimme in Puccini-Rollen ganz in ihrem Element ist. Ihr erster Auftritt gerät mit silbernen Piani und schimmernden Nuancen magisch. Gheorghiu betreibt mit leuchtendem Timbre bewusst die Kunst der subtilen Verführung und macht aus Arien wie ‘Un bel di vedremo’ technische Meisterwerke. So schön die Gesangslinien auch sind, klingt so eine 15-jährige Japanerin, die – bis über beide Ohren verliebt – in ihr Verderben rennt? Gheorghiu hält Distanz zu ihrer Rolle selbst da, wo sie jedes Wort auf die Goldwage legt. Im Vergleich zur bestürzenden Naivität einer Freni, Scotto oder Callas erscheint Gheorghiu kopflastig, ihre Emotionen einstudiert. Sogar die dramatische Schluss-Szene wirkt eher delikat komponiert als herzzerreißend.

Psychologisch genaues Portrait

Kaufmann ist da aufrichtiger. Der Tenor singt seine Rolle mit italienischem Schmelz, satten Farben und ebenmäßigem Timbre, das er mit strahlenden Spitzentönen durchsetzt. Kaufmanns Pinkerton ist einerseits ein sympathischer Kerl, der von der exotischen Erotik des fernen Ostens verzaubert ist. Andererseits hat dieser Marineleutnant eine rücksichtslos-brutale Seite, die von Anfang an tiefe Risse in der smarten Oberfläche aufzeigt. Diese Differenziertheit ist typisch für Kaufmann und zeichnet ein psychologisch genaues Portrait seiner Rolle, das nie berechnet wirkt – ein weiterer Meilenstein in der Diskographie des Münchner Tenors.

Schluss-Akkorde wie Protonenstrahlen

Mit Enkelejda Shkoas steht Gheorghiu eine solide Suzuki zur Seite. Fabio Capitanucci singt den amerikanischen Konsul Sharpless als teilnahmsvollen Kenner der japanischen Kultur. Zu dick aufgetragen ist der ‘Puccini-Sound’, den Antonio Pappano mit der Accademia Nazionale die Santa Cecilia schmiedet. Der Dirigent, der seit Jahren mit Gheorghiu zusammenarbeitet, lässt mit orgiastischen Klangfluten, spröden Tempi und Schluss-Akkorden wie Protonenstrahlen keinen Zweifel daran, dass er nach dem Motto ‘Bloß kein weichgespülter Puccini!’ verfährt. Trotz interessanter Klangdetails und effektvoller Dramatik gehen ihm dabei zu viele Nuancen verloren. Trotzdem: das ist die Butterfly, auf die man 32 Jahre gewartet hat.






 
 
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