Der Opernfreund, 5.10.15
Egon Bezold
 
Meisterlich intensiv
Szenische Deutungen von Giuseppe Verdis „Aida“ gibt es in Hülle und Fülle. Man denke nur an Szenen, wo Triumphmarschierer exerzieren, das Ballett zur Feier des Staates herumhüpft und Paradepeinlichkeiten die Opernbesucher zu überrumpeln trachten. Die Arena in Verona bewegt bekanntlich gewaltige Materialmassen auf der Bühne. Es gibt aber auch Regisseure, die mit Provokationsgesten locken, Szenen in unser Jahrhundert transplantieren oder zu wüsten Aufklärungsaktionen blasen. Frankfurts Oper versetzte in der Gielen-Ära einst mit Hans Neuenfels den Opernfreunden einen Gaskammer-Schock in der Schlussszene. Es scheint, dass Verdi so ziemlich alles verträgt, auch wenn die heilige Opernkuh mal gnadenlos auf den Seziertisch gezerrt wird und sich eine gründliche Generaluntersuchung gefallen lassen muss, so im Konzept einer „Oper im Taschenformat“ (Pocket-Aida), wie sie die Nürnberger Pocket Opera Company einmal arrangiert, bearbeitet, verfremdet, reduziert und umgemodelt hat.

Ob monumentale Architektur-Kulissen oder Aida-Kammerspiel auf Abstraktionskurs, ob sich die Pforten des ägyptischen Museums öffnen und die Bühne mit klobigen Requisiten verrammelt wird – nicht selten lenkt der szenische Firlefanz vom gehaltvollsten ab, was Giuseppe Verdi zu bieten hat: jenseits allen Spektakels eine der intimsten, kammermusikalisch spirituellsten Partituren, die je aus seiner kompositorischen Feder flossen.

Austragung für ein neues Endspiel um das „Lebendig-Begraben-Werden“ fand diesmal in einwöchigen Aufnahmesitzungen konzertant im Studio statt, und zwar in Rom im Februar 2015 im Auditorium des Parco della Musica - ein 2.800 Zuschauer fassender Konzertsaal. Hier konnten räumliche Effekte (Chor und Trompeten hinter der Bühne) realisiert werden. So gelingt es dem Produzenten Stephen Johns, die akustischen Konstellationen der aufragenden Tempel und widerhallenden Grabmäler ohne Elektronik zu installieren. Irgendwie erinnert diese Form der Verräumlichung an den legendären „Stage producer“ John Culshaw, der einst Georg Soltis Wiener Ring-Aufnahme (Decca) akustisch verlebendigt hat. Auch zählt Bernsteins „Rosenkavalier“ Einspielung zählt zu seinen dramaturgisch-akustischen Installationen.

Was Verdi musikalisch zu vergegenwärtigen hat, all die feinen Kontrapunkte, das subtile Filigran, diese wundervoll leuchtenden Farben, findet in Antonio Pappano einen hellwachen Interpreten, der jenes prickelnde Gefühl zu suggerieren vermag, wie nur bei großen Verdi-Dirigenten (Riccardo Muti) erfahrbar. Keine Frage: Antonio Pappano dirigiert mit untrüglichem Gespür für die orchestralen Delikatessen. Da knallen keine Tutti. So gelingt das Vorspiel zum dritten Akt, wo Geigen con sordino, Flageoletts der Celli und eine Flöte sich zu einem KIalng zartester Dynamik verbinden, im „estramente Piano“ so wie Verdi es vorschreibt. Nichts wirkt breitflächig hingewuchtet. Umso mehr werden die dramatischen Explosionen der Nilszene bis zum Exzess hochgetrieben. Das Orchestra dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia formt kultiviert die edlen Pianissimi, schwelgt in schönen instrumentalen Farben. Schade nur, dass es bei Pappano nicht ohne Striche abgeht. Bei ihm beläuft sich die Spieldauer auf 145 Minuten, während die Wiedergabe des ungekürzten Aida- Originals im Decca Mitschnitt aus dem Teatro alla Scala di Milano (Decca 074 3209 2 DVDs) bei Riccardo Chailly runde 170 Minuten in Anspruch nimmt - ein lang währendes Opernvergnügen. Freilich aus orchestralen Perspektiven wohl genehm, wenn gleich der Radames von Roberto Alagna seinerzeit kaum im vokalen Glorienschein glänzte. Die Wogen zustimmender Begeisterung durfte er – nicht zuletzt seiner wenig glanzvollen hohen Register wegen –in der Decca Einspielung nicht genießen. Die Katastrophe brach erst in der zweiten Aufführung der Inaugurazione herein als er gnadenlos beim berüchtigten „Celeste Aida“ ausbuht wurde. Alagna verlor die Nerven, zeigte sich selbst die rote Karte, ging in die Kabine.

Umso mehr macht der Radames von Jonas Kaufmann – er feiert in der Studioaufnahme aus Rom in dieser Rolle sein Debut – die berüchtigten Arie „Celeste Aida“ zum Ohrenschmaus. Geschmeidigkeit und tenoraler Glanz unterstreichen das supreme gesangliche Profil – welch taufrische packende Edition gibt dies dem römischen Feldherrn, der nicht nur in exponierten Stellen über stimmliches Volumen gebietet, sondern auch mit feinen Piani in den Bann zieht. Anja Harteros verteidigt stimmlich beseelt und leidenschaftlich, fabelhaft in der Ausdruckskraft und prächtig fokussierter Stimme, Giuseppe Verdi als einen der größten Musikdramatiker. Ihre Duette mit Jonas Kaufmanns Radames zeugen von faszinierender dramatischer Intensität – berührend die dynamisch subtil ausgehörte Sterbeszene. Viel Zustimmung verdient auch Ekaterina Semechuk als tragisch liebende Pharaonentochter Amneris, nicht zuletzt ihrer substanzvollen tiefen Register wegen. Erwin Schrott schlüpft mit schöner Bassstimme in die Rolle des Ramfis. Ausdruckskräftig spielt Ludovic Tézier den Amonasro, während sich Marco Spotti der Belange des Königs annimmt. Mit Paolo Fanale als Messaggero und Eleonora Buratto als Sacerdotessa gibt es eine rollendeckende Besetzung. Ciro Visco hat den Chor von Dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia trefflich einstudiert.

Mit Jubelwucht vollzieht sich das Siegesbrimborium, das in der konzertanten Fassung mit einigen ohrenfolternden Qualitäten aufwartet. Da aufgrund finanzwirtschaftlicher Zwänge Einspielungen von Opernwerken mittlerweile fast ausschließlich in Form von Live-Mitschnitten realisiert werden, erscheint die Wahl fürs Studio (vorausgegangen waren konzertante Aufführungen im Frühjahr 2015 in Rom) als singuläre Entscheidung.

Die aufwendige „Hardcover Deluxe Edition“ informiert über die Handlung, gibt Dirigenten wie auch Protagonisten Gelegenheit, über werkspezifische Aspekte zu plaudern, insbesondere über kollegiale Arbeitsbeziehungen während der Entstehungszeit der Aufnahme. Wie Harteros singt Tézier seine Rolle zu ersten Mal, ebenso gibt Kaufmann hier seinen ersten Radames. Für Antonio Pappano war der Aufnahmeort ein Schlüssel: „Wir benötigten einen Raum von beträchtlicher Größe, der genug Weite für die Grandezza der Musik besaß und gleichzeitig Luft und Licht sowie eine Anmutung des Geheimnisvollen für die vielen verborgenen Passagen der Musik bieten musste. Die Atmosphäre dieses Werks ist ebenso essentiell wie schwer zu fassen, doch tief in mir wusste ich, dass wir sie….in der Heimstatt meines Orchesters einfangen könnten“.

So strahlt Verdis Meisterwerk in schönen Farben, birst vor Leidenschaft, steht vokal wie instrumental auf hohem Niveau.






 
 
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