Abendzeitung, 2. Oktober 2015
Robert Braunmüller
 
Jonas Kaufmann und Anja Harteros in Verdis "Aida"
Kammerspiel und Staatstheater: Verdis "Aida" in einer neuen Aufnahme mit der Accademia Nazional di Santa Cecilia unter Antonio Pappano
 
Er sei ja ein guter und intelligenter Sänger. Aber ohne sein Aussehen würde Jonas Kaufmann noch immer im Staatstheater Saarbrücken singen. Das sagen die Verächter des Münchners. Und ein wirklich italienischer Sänger sei er auch nicht.

Verzeihung, Einspruch. Es ist nicht purer Lokalpatriotismus, wenn Kaufmann hier nach jedem Auftritt und für jede seiner Platten hymnisch gelobt wird. Dieser Sänger steht im Zenith seines Könnens. Und das lässt sich überprüfen, wenn man erst seinen Bühnen-Radamès im Nationaltheater hört und dann die neue Gesamtaufnahme von Verdis „Aida“ unter Antonio Pappano.

Kaufmann ist im Opernhaus so perfekt wie auf der Platte. Er hat die Nerven, das hohe B in der Romanze „Celeste Aida“ auch auf der Bühne wie notiert im Pianissimo zu singen. Denn es ist viel leichter, den Spitzenton laut zu trompeten und dafür billigen Applaus einzuheimsen.
Der komplette Radamès und eine ideale Aida

Und ist auch nicht so, dass das Auge mithören würde. Was der Darsteller Kaufmann spielt, kann der Sänger auf einer Platte auch ohne Bühne musikalisch gestalten. Auch auf CD ist der 46-Jährige ein kompletter Radamès, der Lyrismen und heldische Töne je nach dramatischer Situation vereint.

Pappanos Gesamtaufnahme hat auch eine ideale Aida: Anja Harteros. Seit Montserrat Caballè und Katia Ricciarelli wird die Titelpartie der Oper eher lyrisch besetzt. Darüber lässt sich eine Grundsatzdebatte führen. Sie muss allerdings verstummen, wenn die Rolle mit einer solchen Gestaltungskraft interpretiert wird. Die Kunst der Zurücknahme, mit der Anja Harteros singt, ist eine eindringliche Deutung dieser Figur als zarte, zerbrechliche Frau. Und wer die Oper schon öfter gehört hat, der weiß, wie schwer es ist, aus diesen Figuren Menschen zu machen.

Leider gibt es derzeit offenbar keine Amneris, die zu dieser Aida passt. Im Terzett des ersten Akts antwortet Ekaterina Semenchuk auf die von Anja Harteros musikalisch gestaltete Angst nur mit Sonorität. Der Amonasro ist mit Ludovic Tézier zu lyrisch besetzt. Wenn das Orchester im Triumph-Akt beredt von seiner Niederlage erzählt, bleibt der Sänger blass. Auch im Duett mit Aida wirkt er nicht wirklich gefährlich. Die beiden Bass-Rollen werden ordentlich gesungen, aber es ist nicht einfach, den König von Marco Sprotti und den rauen Ramphis von Erwin Schrott auseinanderzuhalten.
Großartiges Orchester

Die wahre Primadonna dieser Aufnahme ist, trotz Harteros und Kaufmann, das Orchester: die Accademia Nazionale di Santa Cecilia aus Rom. Das einzige international konkurrenzfähige Symphonieorchester Italiens prunkt mit seidigen Streicherklang und schön singenden Bläsern. Es spielt warm und strahlend zugleich. Die Bühnenmusik, ein Polizeiorchester, schmettert den Triumphmarsch nicht, sondern interpretiert ihn mit Belcanto. Wer hätte gedacht, dass selbst da Zwischentöne möglich wären?

Der italienische Brite und britische Italiener Antonio Pappano schafft es, Kammerspiel und Staatstheater zu versöhnen. Er hat ein gutes Gespür für frische Tempi, er zeigt nichts demonstrativ vor und hascht auch nicht nach Effekten. Ein paarmal hat man allerdings den Eindruck, als sei die Lautstärke des Orchesters künstlich nachgeregelt worden. Und der fast unhörbare Chor am Anfang des dritten Akts wirkt auch ein wenig affig. Aber das mag daran liegen, dass das Ohr mittlerweile auf die selten gewordenen Studio-Produktionen von Opern empfindlicher reagiert.

Und wie schon bei Pappanos Verdi-„Requiem“ gilt: Es ist die beste Aufnahme seit Jahren. Echt schade, dass Pappano sich in München so rar macht.






 
 
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